Die Frau des Polizisten
Schweigens.
Erika schloss die Augen, ihre Hand umklammerte das Telefon. Es war, als würde ihr die Luft wegbleiben. Gleichzeitig loderte Wut in ihr auf. Sie konnte die bedrückende Stille plötzlich nicht länger ertragen.
»Hallo, Inger! Hast du deine Falschanzeige zurückgenommen? Rufst du deshalb an?«, zischte sie und bereute es sofort. Falsche Methode, falsch, falsch, alles falsch. Ihr Ausbruch wurde mit Schweigen bestraft. Erika musste sich auf die Lippe beißen, um sich nicht zu entschuldigen oder es klein zureden – gesagt war gesagt. Und es war schließlich Inger, die angerufen hatte.
»Ich will, dass du aufhörst, Lügen über Göran zu verbreiten«, sagte die dünne Stimme schließlich. Erikas Kinnlade fiel buchstäblich herab, sie war fassungslos.
»Ich glaube, jetzt komm ich nicht mehr mit«, gluckste Erika. Ihre Stimme klang unnatürlich und aufgesetzt.
»Das glaube ich aber doch«, fauchte Inger überraschend hitzig zurück. »Du redest in Göteborg mit allen und jedem schlecht über Göran. Versuchst, ihn in den Dreck zu ziehen und seine Karriere und seinen guten Ruf zu zerstören.«
Erika hörte, wie die Frau am anderen Ende tief Luft holte, um sie weiter zu beschimpfen.
»Als ob die ganzen falschen Anzeigen und der Mist, den du ihm hier in Stockholm angetan hast, bevor er dich fallen ließ, nicht schon gereicht hätten.«
Erika legte die freie Hand auf die Stirn und versuchte, sich zu sammeln.
»Hat er dich schon geschlagen, Inger? Dich bedroht?«, fragte Erika trocken.
»Du bist ja nicht ganz dicht«, krächzte Inger zwischen den Atemzügen. Erika hörte Ingers tränenunterdrückte Stimme.
»Göran ist nicht so«, fügte Inger in scharfem Ton hinzu.
Erika schloss die Augen und drückte eine geballte Faust gegen die Stirn. Ihre Lungen fühlten sich an, als seien sie voller Wasser. Sie musste dem Gespräch eine andere Wendung geben, die Kontrolle darüber zurückgewinnen. Ihr ging auf, dass Inger möglicherweise gar nichts von der Anzeige wusste. Vielleicht hatte jemand ohne ihr Wissen Fotos von ihr gemacht und die Anzeige gefälscht? Nein, das konnte nicht sein. Sie war überzeugt worden – gezwungen. Und sie hatte Erika angezeigt.
»Inger, Inger, hör mir jetzt zu … bitte.«
Langsam näherte sie sich dem Kern der Sache. Mit jedem Tag, den sie außerhalb von Görans mentalem und physischem Gefängnis verbrachte, wurde ihr klarer, wie krank ihre Beziehung gewesen war. Und wie das Kranke Normalität geworden war.
»Du wirst noch Tränen vergießen, Inger!«, zischte Erika und zuckte selbst zusammen, als sie hörte, wie hart ihre Stimme klang. »Mehr als jemals zuvor in deinem Leben. Du wirst nachts wach liegen und nicht wissen, wo er ist. Und wenn er sich endlich dazu durchringt, nach Hause zu kommen, wirst du nicht wissen, was dich erwartet.«
Erika hörte, wie Inger Luft holte, um sich zu verteidigen, gab ihr aber keine Gelegenheit dazu.
»DU … wirst Angst haben, mehr Angst, als du jemals gehabt hast. Du wirst geschlagen werden, immer wieder. Du wirst hören dürfen, wie hässlich du bist, wie fett, wie wertlos, wie grottenschlecht du im Bett bist, dass du frigide bist und so abstoßend, dass kein Mann dir jemals einen zweiten Blick zuwerfen wird! Und du wirst vergewaltigt werden. Hörst du, was ich sage?«
Erika glaubte Schluchzer zu hören. Die Frau am anderen Ende hielt sich die Hand vor den Mund, versuchte sie zu dämpfen. Aber sie legte nicht auf.
»Warum …? Warum, Inger, stehen wir Frauen nicht füreinander ein? Kannst du mir das sagen?« Erika erhielt keine Antwort.
»Sag nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte!«, fauchte Erika und spürte die ungute Gefühlsmischung aus Mitleid und Verachtung, Abscheu und Angst.
»Inger?«
»Ich …«, erwiderte Inger rau, räusperte sich und fuhr mitüberraschend kräftiger Stimme fort, »ich habe nicht vor, mich länger um deinen verfluchten Köter zu kümmern. Diese verdammte Töle kann mich mal! Nur dass du’s weißt!«, rief sie schadenfroh.
Erika sah das schwarze Hundegesicht mit den feuchten Knopfaugen vor sich. Verdammt …!
»Was meinst du damit, er kann dich mal?«, stieß Erika hervor. »Hat Göran dir das aufgetragen? Dich dazu gezwungen, das zu sagen? Das auch?«
Aber die Verbindung war schon unterbrochen. Erika hielt das Telefon noch längere Zeit in der Hand und starrte auf das erloschene Display. Danach hörte sie das Gespräch in ihrem Inneren wie eine Endlosschleife. Sie versuchte es zu sortieren,
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