Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau des Polizisten

Die Frau des Polizisten

Titel: Die Frau des Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Elfberg
Vom Netzwerk:
Antworten zu finden, bevor sie aufgab. Sie schluckte den Hass hinunter und die Wut, die wie Galle schmeckte. Sie stolperte ein Stück vorwärts, auf die Klippe zu, und lehnte sich gegen eine verkrüppelte Kiefer. Die Dämmerung brach herein. Die Kälte war vom Meer aufs Land gekrochen, und die Temperaturen fielen rasch. Sie zog die Jacke fester um sich und schaute aufs Meer, das in der Dunkelheit wie eine riesige Öllache wirkte.
    »Erwarten Sie jemanden?«
    Erika griff wild um sich und erwischte einen Ast, um Halt zu finden. Urplötzlich war ihr Nachbar dicht neben ihr im Halbdunkel aufgetaucht. Seine Augen strahlten; er stand ihr so nahe, dass sie seine feuchtwarmen Atemzüge auf der Wange spüren konnte. Erika hielt den Ast umklammert und bemühte sich, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Es war unbegreiflich, dass sich dieser Riese so schnell und vor allem so leise fortbewegen konnte. Nicht ein Geräusch war zu hören gewesen, bis er unmittelbar neben ihr gestanden hatte.
    Der Muminmann betrachtete Erika aus zusammengekniffenenAugen und deutete mit einem dicken Finger an ihr vorbei zu ihrem Sommerhaus. Das Haus mit seiner grauen Holzverkleidung und seinem matten Zinkdach verschmolz mit der Umgebung. Auf den ersten Blick war nichts Besonderes daran – bis auf die Tatsache, dass der Boden ringsum nun mit Kies, Steinen und anderem Krempel vermint war. Und als sie hektisch zu dem gigantischen Mann aufblickte, erkannte sie, dass er die Veränderung bereits wahrgenommen hatte.
    Eine andere Sache waren die beiden starräugigen Mumintrolle links und rechts neben ihrer Tür, die Wache hielten. Wenn man sie nur flüchtig betrachtete, wirkten sie wie eine lustige Dekoration, aber zwischen den Trollen war eine fast unsichtbare Angelschnur gespannt …
    Erika warf ihrem Nachbarn einen forschenden Blick zu und nickte. Ja, sie erwartete jemanden. Sein Lächeln wurde breiter. Er setzte sich mit einem zufriedenen Seufzer auf die kalte Klippe neben ihr und musterte das Haus mit einem feinen, schwer zu deutenden Lächeln. Erika löste ihre Hand langsam vom Ast und ließ sich vorsichtig neben ihm nieder. Sie sah ihn unentwegt an und wartete. Es herrschte Stille. Nur das Rauschen des Meeres und der schwache Wind durchdrangen sie. Erika sah sich von außen, wie sie so da saß – schweigend, dicht neben einem riesigen entwicklungsgestörten Mann auf einer Klippe in der strengen Kälte hockend. Ich werde allmählich verrückt, dachte sie.
    »Ich erwarte einen Mann  …«, sagte sie schließlich. Ihr Blick glitt aufs Meer hinaus. Der große Körper neben ihr hob und senkte sich ruhig und vertrauensvoll unter den Atemzügen des Mannes.
    »Meinen Mann«, sagte sie schließlich. »Ich muss ihn treffen, ihn in einen Hinterhalt locken. Sonst werde ich untergehen …«
    Der Riese neben ihr rührte sich nicht, seine Atmung blieb gelassen. Doch plötzlich sah er sie an, aufgeweckt und interessiert.
    »Ich bin vor ihm geflohen«, fuhr Erika fort. »Er ist kein böser Mensch, aber krank. Sehr krank …«
    Die Tränen saßen ihr mit einem Mal im Hals, und ihr Herz pochte, als ob sie um ihr Leben gerannt wäre. Der Goliath an ihrer Seite nickte. Ein zufriedenes Gurren kam aus seiner Kehle.
    »Ich weiß, dass man gegen einen Psychopathen nicht gewinnen kann …«, krächzte Erika und kämpfte gegen die Tränen an, die sie plötzlich überwältigten. »Aber ich muss es versuchen. Ich warte auf ihn, hier im Haus. Ich weiß, dass er kommen wird, bald.«
    Erika wandte dem Mann langsam das Gesicht zu, ihre Blicke trafen sich. Er nickte erneut, aber das Lächeln war fort. Nur noch das seltsame Glühen stand tief in seinen Augen.
    »Er wird kommen  …« Das schiefe Lächeln zeigte sich plötzlich wieder auf seinem Gesicht, und die spitzen gelben Zähne blitzten auf. »Er glaubt, dass er gewinnen wird.«
    Erika nickte, ohne den Blick von der Gestalt wenden zu können.
    »Hochmut kommt vor dem Fall. Das hat meine Mutter immer gesagt«, sagte er mit einem glucksenden Laut. Erika konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Das stimmte. Hochmut – der Gegensatz von Demut. Er machte blind und ließ die Welt und die Menschen im Umfeld schrumpfen  – allerdings nur in der Einbildung, nicht in der Wirklichkeit. Der Riese erhob sich leicht und geschmeidig wie ein Kind, ging mit ein paar Schritten zu seinem roten Haus und verschwand hinter dem Zaun  – ebenso lautlos, wie er gekommen war.
    Erika blieb sitzen und spürte, wie die Kälte des Felsens inMark

Weitere Kostenlose Bücher