Die Friesenrose
Hund‘ ist viel Wahres dran. Frauen können arbeiten und sich versorgen, wenn man sie nur lässt. Sie bringen auch ihre Kinder durch die Zeit. Aber Männer können oder wollen weder kochen noch nähen, geschweige denn waschen. Sie verkommen, wenn ihr Weib stirbt, und ihre Kinder kann man nur bedauern. Deshalb gibt es auch so viele Frauen suchende Witwer. Da schaffe ich mir lieber einen Ruf, der mich vor solcherlei bewahrt.“
„Tjalda.“ Inken trank belustigt ihren Tee. „Es sind doch, weiß Gott, nicht alle Männer so. Nimm meinen Vater. Er ist ein großartiger Mensch und sorgt auch gut für mich.“
„Dass es Ausnahmen gibt, bestreite ich ja gar nicht. Doch ich glaube immer noch, dass es besser ist, sich diese bärtigen Geschöpfe gar nicht erst aufzuhalsen. So, und jetzt möchte ich nicht mehr über die Vor- oder Nachteile von Männern sprechen. So viel Aufmerksamkeit sind sie nicht wert. Ich werde euch jetzt erzählen, wie ich zu drei Jahren Töchterschule gekommen bin.“
„Oh, bitte, wir sind schon sehr neugierig“, forderte Sumi sie auf.
„Es ist kaum zu glauben, nicht wahr – ich auf einer Töchterschule, doch es waren gerade die Jahre dort, die mich sehr geprägt haben. Allerdings nicht in dem Sinn, wie meine Lehrerinnen es gerne gehabt hätten.“ Tjalda nahm einen langen Schluck aus ihrem Becher, bevor sie von Neuem zu erzählen begann. „Wie hat es mich dorthin verschlagen? Wisst ihr, ich war sehr glücklich in meiner Kindheit. Bis meine Vorstellung vom Leben eines Tages die ersten Risse bekam. Ich war damals 13 Jahre alt. Obwohl es aus heutiger Sicht unverständlich ist, habe ich mir als Kind niemals Gedanken darüber gemacht, dass Rosa eines Tages sterben könnte. Sie war für mich der Inbegriff des Lebens an und für sich. Und Rosa selbst hatte niemals davon gesprochen, dass ihr Herz seit Längerem schon nicht mehr im richtigen Takt schlug. Gut verborgen blieb dieses Leiden vor mir und auch vor meinem Vater. Aber vielleicht habe ich es auch einfach nur nicht sehen wollen.“
Tjalda schwieg für einen Augenblick. Dann fuhr sie leise fort. „Es war an einem dieser Sommertage, an denen nur die leichte Brise vom Hafen für ein wenig Abkühlung sorgt. DieHitze machte den Menschen zu schaffen. Die Händler stellten sogar Fässer mit Wasser auf, aus denen sich ihre Kunden kostenlos bedienen konnten. Rosa ging es nicht gut an diesem Tag. Immer wieder griff sie sich an die Brust, und ich übernahm es, die Kunden zu bedienen. Es herrschte großer Andrang, und so konnte ich in meiner Besorgnis nur hin und wieder auf sie achten. Bis sie am Ende des Tages plötzlich wie ein gefällter Baum zu Boden fiel. Ich werde es niemals vergessen, denn dieser Tag beendete meine Kindheit mit einem Schlag. Mein Verstand weigerte sich zu glauben, was geschehen war. Es war, als ob sich um mich herum alles verdunkelte, und das erste und einzige Mal in meinem Leben umfing mich eine gnädige Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, lag Rosa auf einer Bahre, und der herbeigerufene Arzt stellte ihren Tod fest. Zwei Nachbarinnen nahmen sich meiner an. Und hätten mich ihre Arme nicht geführt, so wären meine Füße vielleicht nicht in der Lage gewesen, den Weg nach Hause zu finden.
Ich blickte mich immer wieder um, obwohl Rosa schon auf eine Trage gebettet lag. Entgegen jedem besseren Wissen hoffte ich, sie würde aufstehen, plötzlich wieder lachen und dann nach der Suppenkelle greifen. Tagelang verkroch ich mich, und als mein Vater schließlich zurückkehrte, drückte ich mich eng an ihn und weinte stumm. Meine Kindheit war vorbei, aber auf das, was nun auf mich zukam, war ich nicht gefasst. Mein Vater musste nach einiger Zeit wieder zurück auf See und beschloss daher, dass ich in einer so genannten höheren Bildungsanstalt für Töchter gut aufgehoben sei. Noch völlig verstört vom Tod meiner geliebten Rosa und nicht ahnend, was das bedeutete, willigte ich in seinen Plan ein und verlor jede Freiheit, die ich bis dahin besessen hatte.“
Verächtlich kräuselte Tjalda die Lippen. „Ganze drei unglücklicheJahre habe ich in der ,Aufbewahranstalt für unglückliche Töchter‘ verbracht. Wir Mädchen waren in einem düsteren Gemäuer, weitab vom Leben und Treiben anderer Menschen, untergebracht. Es gab nur die Schülerinnen und eine Hand voll Frauen, die uns mehr oder weniger das Leben schwer machten. Sosehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, mich an den Schulalltag zu gewöhnen. Wie anders war dagegen das
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