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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Name«, sagte er. »Und er passt perfekt zu dir.«
    »Ja, das tut er«, sagte sie. »Es ist, als hätte ich eine Blume im Herzen.« Mit ernstem Blick sah sie Elodin an. »Wenn Euch Euer Name einmal zu schwer wird, solltet Ihr Euch von Kvothe einen neuen geben lassen.«
    Elodin nickte und biss von seinem Stück Cinnasfrucht ab. Und während er kaute, wandte er sich zu mir um und sah mich an. Im |160| Mondschein sah ich seine Augen. Sie blickten kühl und nachdenklich und geistig vollkommen klar.

    Nach dem Nachtmahl sang ich ein paar Lieder, und dann verabschiedeten wir uns voneinander. Elodin und ich gingen gemeinsam fort. Ich kannte mindestens ein halbes Dutzend Stellen, an denen man vom Dach des Hauptgebäudes herabsteigen konnte, ließ ihm aber den Vortritt.
    Wir gingen an der runden Sternwarte vorüber, die aus dem Dach ragte, und gelangten dann auf eine größere Fläche aus einigermaßen ebenem Zinnblech.
    »Wie lange besuchst du sie schon?«, fragte Elodin.
    Ich überlegte. »Ein halbes Jahr? Je nach dem, wie man es zählt. Ich hatte schon ein paar Spannen lang dort oben gespielt, als ich sie zum ersten Mal sah, und dann hat es noch mal eine ganze Zeit lang gedauert, bis sie mir so weit vertraut hat, dass sie mit mir sprach.«
    »Dann hast du da mehr Glück gehabt als ich«, sagte er. »Bei mir hat es Jahre gedauert. Und heute hat sie mich zum ersten Mal näher als zehn Schritte an sich herangelassen. Und bisher haben wir bestenfalls mal ein Dutzend Worte gewechselt.«
    Wir stiegen über einen breiten, flachen Schornstein und kamen auf eine leicht abschüssige Fläche aus Teerpappe. Und während wir so gingen, wuchs meine Sorge. Wieso hatte er versucht, ihr nahe zu kommen?
    Ich dachte an den Tag zurück, als ich mit Elodin ins Refugium gegangen war, um seinen Giller Alder Whin zu besuchen. Ich stellte mir Auri dort vor. Die zarte Auri, mit dicken Lederriemen auf einem Bett festgeschnallt, damit sie sich nicht verletzen und nicht um sich schlagen konnte, während sie zwangsweise ernährt wurde.
    Ich blieb stehen. Elodin ging noch ein paar Schritte weiter und sah sich dann zu mir um.
    »Sie ist meine Freundin«, sagte ich.
    Er nickte. »Offensichtlich.«
    |161| »Und ich habe nicht so viele Freunde, dass ich es ertragen könnte, auch nur einen von ihnen zu verlieren«, sagte ich. »Und schon gar nicht sie. Versprecht mir, dass Ihr niemandem von ihr erzählen werdet, und dass Ihr sie auch nicht ins Refugium schaffen lasst. Das ist kein Ort für sie.« Ich schluckte gegen die Trockenheit in meiner Kehle an. »Das müsst Ihr mir versprechen.«
    Elodin neigte den Kopf zur Seite. »Ich höre da ein
sonst
«, sagte er in belustigtem Ton, »auch wenn du es nicht aussprichst. Ich soll dir das versprechen,
sonst
…« Ein Mundwinkel hob sich zur Andeutung eines Lächelns.
    Und als er so lächelte, empfand ich schlagartig Wut, vermengt mit Unsicherheit und Furcht. Und plötzlich hatte ich wieder den Geschmack von Pflaumen und Muskatnuss im Mund und war mir des Messers nur allzu bewusst, das ich unter der Hose an den Oberschenkel geschnallt trug. Ich spürte meine Hand langsam in meine Hosentasche gleiten.
    Da sah ich die Dachkante zwei Meter hinter Elodin und spürte, wie sich meine Füße bereit machten, loszulaufen und mich auf ihn zu stürzen, und dann wären wir zusammen vom Dach gestürzt und unten im Hof auf das Kopfsteinpflaster geknallt.
    Mir brach am ganzen Körper kalter Schweiß aus, und ich schloss die Augen. Ich atmete langsam tief durch, und der Geschmack verschwand.
    Dann öffnete ich die Augen wieder. »Ihr müsst mir das versprechen«, sagte ich. »Sonst werde ich wahrscheinlich eine unfassbare Dummheit begehen.« Ich schluckte. »Und wir beide werden darunter zu leiden haben.«
    Elodin sah mich an. »Eine bemerkenswert offenherzige Drohung«, sagte er. »Normalerweise klingt so etwas viel knurriger und knorpeliger.«
    »Knorpeliger?«, fragte ich verwirrt.
    »Ja, meist heißt es dann doch:
Ich brech dir die Knie, ich brech dir das Genick
.« Er zuckte die Achseln. »Und dabei denke ich immer an Knorpel, wie wenn man ein Hähnchen entbeint.«
    »Ah«, sagte ich. »Ich verstehe.«
    Wir sahen einander einen Moment lang schweigend an.
    |162| »Ich werde niemanden nach ihr ausschicken«, sagte er schließlich. »Manche Leute sind im Refugium gut aufgehoben. Für viele von ihnen ist es der einzige Ort, der ihnen noch bleibt. Aber wenn es eine bessere Möglichkeit gibt, würde ich nicht mal einem tollwütigen

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