Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
der irgendwo im Rücken Getroffene torkelte sogar ein paar Schritte zurück und dann nach rechts.
    Darwin erreichte ihn kurz vor der Skulptur zwischen den Pil as tern. Wie schon zuvor warf er sich gegen den Attentäter, jedoch nicht heftig genug, um ihn von den Beinen zu reißen. Gemeinsam taumelten sie Richtung Wand.
    Abermals schrie Darwin vor Schmerzen auf, als er mit der Schulter gegen die Mauer prallte. In diesem Moment dachte er nicht mehr darüber nach, wie er aus dieser Sache lebend herauskommen konnte. Er versuchte nur, die Arme des Wahnsinnigen an dessen Körper zu drücken, damit er nicht die Bombe zünden konnte. Darwins rechter Bizeps brannte wie Feuer. Wie lange würde er noch durchhalten? Wollte er in diesem verzweifelten Ringen nicht unterliegen, dann brauchte er dringend Verstärkung, denn der Angeschossene tobte wie ein verwundetes Raubtier.
    Weil Darwin um keinen Preis den Klammergriff um den Gegner lockern durfte, versuchte er einen Fußschlag gegen dessen Beine. Aber wieder überraschte ihn sein Widersacher mit einer erstaunlichen Reaktion. Er wich mit einem schnellen Schritt aus, und ehe Darwin sein Bein wieder zurückziehen konnte, verhakten sich die Gliedmaßen ineinander. Wäre da nicht die Wand und im Rücken die Pietà Palestrina gewesen, hätten vermutlich beide das Gleichgewicht verloren. So aber wankten sie wie ringende Flamingos einbeinig hin und her.
    Darwin ächzte vor Anstrengung. Wenn er schon sterben musste, dann sollte wenigstens der David davonkommen. Zwischen ihm und seinem Gegner befand sich immer noch die Säule. Das müsste reichen, um die Wucht der Explosion zumindest aufzufächern und damit abzuschwächen.
    Plötzlich hörte er, wie die Tür am Ende der Galerie aufgerissen wurde und Stimmen in den Korridor drangen. Aus den Augenwinkeln sah er Lichtfinger durch den Raum huschen. Schon wollte er innerlich jubeln, weil endlich Rettung nahte, als sein Widerpart den Moment der Unachtsamkeit nutzte. Mit einer ruckhaften Drehung wand er sich aus dem Klammergriff. Doch dann tat er etwas völlig Unerwartetes.
    Zwischen der Säule und dem Pilaster war ein toter Winkel, den die Schützen der hereinstürmenden Spezialeinsatzkräfte mit ihren Maschinenpistolen nicht abdecken konnten. Anstatt zu versuchen, hier hindurchzuschlüpfen, um so doch noch in die Nähe des David zu gelangen, trat der Einbrecher nur einen Schritt weit aus der Denkung der Pietà Palestrina heraus.
    Mehrere Lichtkegel fokussierten sich auf der schwarzen Gestalt, die ihre Gegner mit Nichtachtung zu strafen schien. Denn sie blickte geradewegs in das Gesicht des Detektivs.
    Es war ein unwirklicher Moment, in dem die Zeit sich wie ein Gummiband zäh in die Länge zog. Darwin bildete sich ein, die violetten Augen im Ausschnitt der Maske lächeln zu sehen. Dann griff die Hand des Vermummten nach einem Knebel an seinem Anzug. Eine Salve von Schüssen peitschte durch den Raum.
    Darwin sah nicht mehr, ob und wo die Projektile der Carabinieri trafen, denn er zwängte sich hektisch durch die Lücke zwischen Wand und Marmorskulptur.
    Hierauf zerriss eine gewaltige Explosion den überdehnten Augenblick.
    Das Letzte, was Darwin sah, war ein greller Lichtblitz. Er spürte einen Schlag am Hinterkopf. Dann umfing ihn Dunkelheit.

 
    Kapitel 23
     
     
     
    »Nur der Oberflächliche kennt sich selbst.«
    Oscar Wilde
     
     
    FLORENZ (ITALIEN),
    Sonntag, 21. Oktober, 22.06 Uhr
     
    Für jemanden wie Alex, die einen Großteil ihres Lebens im stillen Alleinsein verbracht hatte, war die panische Menschenmenge ein kaum zu übertreffendes Horrorszenario. Über all um sie herum wurde geschrien, gestoßen und gerannt. Ihre Angst drohte sie zu überwältigen, aber trotzdem klammerte sie sich an der Absperrung fest, um nicht abgedrängt oder gar von den Beinen gestoßen zu werden.
    Weiter unten in der Via Ricasoli war Rauch zu sehen. Direkt vor der Galleria dell’Academia hatten nach der Detonation alle Deckung gesucht. Scharfschützen in kugelsicheren Westen kauerten in Hauseingängen und hinter Mauervorsprüngen, die Gewehre im Anschlag, als wollten sie auf alles schießen, was sich bewegte. Etwas weiter vom Explosionsort entfernt liefen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr durcheinander. Auch einige Sanitäter konnte Alex entdecken. Alles wirkte eher improvisiert als koordiniert – das Zusammenbrechen der Kommunikation war laut Einsatzplan offenbar nicht vorgesehen.
    »Ich muss da durch«, verlangte Alex von dem Uniformierten, der

Weitere Kostenlose Bücher