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Die Geburt Europas im Mittelalter

Die Geburt Europas im Mittelalter

Titel: Die Geburt Europas im Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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vertiefte er sich in die Mathematik, um diesem Problem mit Hilfe von Studien über die Quadratur des Kreises auf den Grund zu gehen. Er wollte die bisherigen mathematischen Methoden durch eine höhere, intellektuelle Mathematik ergänzen, in der sich die Infinitesimalrechnung von Leibniz und Newton ankündigt. Wie sein Freund, Pius II., war Nikolaus von Kues zutiefst verstört über die osmanische Eroberung. Er setzte sich das Ziel, zur Verwirklichung eines «Friedens im Glauben» beizutragen. Ihm zufolge mussten die immanenten Grenzen jedes Glaubens überwunden werden, um die allen gemeinsame Basis, die er voraussetzte, wiederzufinden. In seinen Augen waren die Unterschiede zwischen den Lehren des Islam, des Judentums, des Zoroastrismus, ja sogar des Heidentums und der Philosophie nur Unterschiede auf der Ebene der Riten. Der gemeinsame Glaube, der all diese Religionen in der Tiefe verband, war das Christentum. Obwohl Nikolaus von Kues am Primat des Christentums festgehalten und es sogar verstärkt hat, gehören seine Bemühungen, die Vielfalt der Religionen zu denken, zu den stärksten und neuartigsten seiner Zeit. Durch ihn kündigte sich nicht nur die ökumenische Bewegung an, er verschaffte auch der Toleranz, die es im Mittelalter nicht gegeben hatte, eine Grundlage.
… und Pawel Wlodkowic
    Die andere Persönlichkeit, auf die ich hinweisen möchte, ist keiner der großen Denker aus dem 15. Jahrhundert, sondern der Autor eines von der Geschichtsschreibung oft übergangenenTraktats, der mir hinsichtlich der Entwicklung des politischen Denkens in Europa bemerkenswert erscheint. Es handelt sich um einen Traktat, den der Rektor der Universität Krakau, Pawel Wlodkowic, 1416 auf dem Konzil von Konstanz vorstellte. Hintergrund dieses Schreibens war der Konflikt zwischen den Polen und dem Deutschen Orden, der in der Schlacht bei Tannenberg (1410) eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. Wlodkowic, der das Verhalten der Ordensritter gegenüber den preußischen und litauischen Heiden untersucht, plädiert für eine andere Haltung gegenüber den Heiden, indem er – eine Frucht seiner Studien in Padua – nicht nur die Existenz von Naturgesetzen bei den heidnischen Völkern unterstreicht, sondern auch die Unmoral der ihnen erklärten Kriege, um dann zivile und politische Rechte für sie zu fordern. Das erlaubte ihm sicher, die Haltung der Könige von Polen im Gegensatz zu den Ordensrittern rühmend hervorzuheben, aber vor allem legte Wlodkowic den Grundstein für einen «modernen» Aspekt des internationalen Rechts. Seiner Vorstellung nach musste sich Europa bemühen, Heiden und Schismatiker zu integrieren. Das Europa, von dem er sprach, war nicht mehr deckungsgleich mit der Christenheit.
Verschwindet das Reich?
    Natürlich verschwindet das Kaisertum im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts weder von der territorialen und politischen Bühne noch aus der Vorstellung der Europäer. Aber man hat von einem Zerfall, ja sogar vom Erlöschen gesprochen, jedenfalls aber von einer Zerstückelung des Imperiums, das trotz der zunehmenden Stärke der nationalen Monarchien, besonders der englischen und französischen, trotz des Machtgewinns der deutschen und vor allem italienischen Städte mehr als der nur symbolische Ausdruck einer europäischen Einheit geblieben war. Kaiser Karl IV. (1355–1378) hatte durch die Goldene Bulle vom 25. Dezember 1356 das Verfahren der Königs- und Kaiserwahl und die Zusammensetzung des Wahlgremiums neu geregelt. Die Siebenzahl der Kurfürsten wurde festgeschrieben, und folgende wurden in die Liste aufgenommen: die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Königvon Böhmen, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen und der Pfalzgraf bei Rhein. Dem Kaiser zur Seite stand eine Reichsversammlung, aus der sich ab Mitte des 15. Jahrhunderts der Reichstag, die Versammlung der Reichsstände, entwickeln sollte, das heißt, der geistlichen und weltlichen Fürsten und der Reichsstädte. Karl IV. bemühte sich ferner, im ganzen Reichsgebiet einen
Reichslandfrieden
durchzusetzen, aber eine Wirkung zeitigte bestenfalls der regionale
Landfrieden
. Die Fürsten bestimmten auch die kirchlichen Angelegenheiten in ihren Territorien, so dass es seit Mitte des 15. Jahrhunderts keine Reichskirche mehr gab. Die größte Veränderung in Deutschland aus europäischer Sicht bestand jedoch im 15. Jahrhundert in der Aufsplitterung des Reichs in 350 Territorien oder Landesherrschaften, deren Herrscher in

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