Die geheimen Jahre
Mädchens zu rufen, und muÃte fast lachen, als sie sich fragte, wer von ihnen beiden mehr Angst hatte: sie selbst oder die dürre Dreizehnjährige, auf deren Schulter sie sich lehnte, als sie zum Haus zurückhumpelte.
Dr. Lawrence bot ihr Chloroform an, doch sie schob ihn weg. Sie hatte nicht zwölf Stunden fürchterliche Schmerzen ausgestanden, um sich dann den Moment der Geburt ihres Kindes rauben zu lassen. Als nach einer letzten heftigen PreÃwehe, die sie fast zerriÃ, endlich der Kopf des Kindes herauskam, empfand sie den schlimmsten Schmerz und den gröÃten Triumph zugleich. SchlieÃlich glitt das Baby ganz aus ihr heraus, und die Qualen waren Gott sei Dank vorbei.
»Es ist ein Junge«, sagte Dr. Lawrence, und Thomasine verspürte eine Woge überwältigenden Glücks. Das Baby wurde gebadet, angezogen und ihr in den Arm gelegt. Seine dunklen Augen blickten ziellos umher, bevor sie sich einen Moment lang auf sie richteten. Sein winziger gekräuselter Mund öffnete und schloà sich, wenn sie mit der Fingerspitze seine weichen, runzeligen Wangen streichelte. »Mein Liebling«, flüsterte sie und küÃte den kleinen Kopf ihres Sohnes.
Nicholas wurde ins Zimmer geführt. Er sah blaà und besorgt aus, und als er sich hinunterbeugte, um seinen Sohn anzusehen, entdeckte Thomasine Tränen in seinen Augen. Plötzlich erschienen ihre Differenzen des vergangenen Jahres banal.
Sie nannten das Baby William Gerald, nach Nicholasâ Vater und seinem Bruder. Es war drei Wochen zu früh auf die Welt gekommen, aber trotzdem kräftig und gesund. AuÃer William war nichts mehr wichtig. Die Liebe, die sie für ihr Kind empfand, lieà alles andere in der Hintergrund treten, so daà sie ihre früheren Schwierigkeiten vollkommen vergaÃ. Die Tage und Nächte gehorchten nun einem anderen Rhythmus und wurden von den Fütter- und Schlafenszeiten des Neugeborenen bestimmt. Sie las nicht mehr, sie vergaà das Dorf und vernachlässigte das Haus. Wenn William nicht bei ihr war, fehlte ihr etwas.
Daniel führte Nelson am Zügel und ging mit Harry Dockerill zur ehemaligen Schmiede zurück. Wie eine glänzende harte Scheibe stand die Sonne über ihnen. Ihre Stiefel und Kleider waren schwarz vor Staub.
»Mark Hayhoe hat die Kündigung für sein Cottage gekriegt«, sagte Harry. »Drei Kinder, und seine Frau erwartet das vierte. Ich nenn das kriminell.«
Daniel sah ihn verblüfft an. »Mark? Warum?«
»Der Gutsherr hat doch das Land zum Verkauf angeboten.« Harry spuckte auf den Boden. »Und das Haus gehört zum Land. Sobald der Herr das Land verkauft hat, müssen die Hayhoes gehen. Ebenso die Bentons und die Carters.«
Sie waren beim Hinterhof angekommen. Daniel sagte langsam: »Ich hab nichts davon gehört, daà die Blythes verkaufen.«
»Das kommt daher, weil du nicht in den Otter gehst. Und in die Kirche auch nicht. Meine Ma hatâs von Lizzie Hayhoe erfahren.«
Während er Nelson in den Stall führte, hatte Daniel kurz Zeit, um nachzudenken. Seine SchluÃfolgerungen waren nicht erfreulich. »Komm auf ein Bier mit rein, Harry«, sagte er.
Harry nahm dankbar an. Er zog seine Stoffmütze ab und steckte sie ins Hemd, als er in die Küche trat. »Schrecklich schwüles Wetter«, sagte er mit höflichem Nicken in Fays Richtung.
Fay rümpfte die Nase und schenkte zwei Krüge Bier ein. Donner grollte in der Ferne und lieà sie beim Einschenken zusammenzucken, so daà das Bier über den Tisch schwappte. Schweigend reichte sie den Männern die Krüge.
»Ihr seid nicht machtlos, Harry«, begann Daniel. »Deine Familie, die Hayhoes und Carters mögen vielleicht von den Blythes abhängig sein, aber die Blythes sind auch auf euch angewiesen.«
Harry stürzte seinen Krug in einem Zug hinunter. »Ich bezweifle, daà sich der Gutsherr Sorgen macht, wie er sein neugeborenes Baby durchbringen soll.«
»Natürlich nicht. Aber Nicholas Blythe kann sein Land nicht allein bestellen. Weder pflügt er den Acker, noch schneidet er das Korn. Dafür braucht er euch.«
Harry starrte ihn an. Er stellte seinen Krug ab. »Du meinst Streik?« fragte er lachend. »Niemals. Nicht hier. Sie würden dich für einen verdammten Roten halten, wenn du das vorschlagen würdest. Und wie sollten sie ihre Familien ernähren?«
»Können
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