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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Vorhänge zu und schloß Fenster.
    Â»Komm mit in den Wintergarten, Nick.«
    Er folgte ihr. Wie ein Hund, dachte sie, der seine Strafe erwartet.
    Im Wintergarten rann der Regen in Sturzbächen über die Glasscheiben. Nicholas wartete, bis sie sich in einem der Korbsessel niedergelassen hatte, dann sagte er: »Tut mir leid, Thomasine. Wegen letzter Nacht. Ich hab mich wie ein Schuft benommen …«
    Â»Das spielt jetzt keine Rolle, Nick. Setz dich bitte. Das ist jetzt wirklich nicht wichtig.« Sie wußte, daß sie log, daß die Kluft zwischen ihnen fast schon zu groß war, um überbrückt zu werden. Deswegen umklammerte sie so verzweifelt das Stück Papier in ihrer Tasche. Sie holte tief Luft und versuchte, seinen unsteten Blick zu erhaschen.
    Â»Vor zwei Wochen habe ich meine Tante Hilda getroffen, Nick. Du erinnerst dich doch daran, daß sie im Krieg Krankenschwester war?«
    Er nickte abwesend. Ein greller Blitz tauchte die dichtwuchernden Pflanzen des Wintergartens in weißes Licht.
    Â»Sie hat mir erzählt, daß sie während des Krieges Männer pflegte, die an Bombenneurose litten. Männer wie du, Nick. Sie sagte mir, daß es heute neue Behandlungsmöglichkeiten gibt – gute Möglichkeiten. Wirkungsvolle.«
    Er blinzelte und griff in seine Jacke, um sein Zigarettenetui herauszuholen. Sie nahm das Feuerzeug aus seiner zitternden Hand und gab ihm Feuer.
    Â»Sie hat mir den Namen eines Arztes genannt, Nick, der dir helfen könnte. Er heißt Dr. Franks, ist sehr bekannt und sehr nett und praktiziert in –«
    Â»Nein.« Nicholas stand auf und schüttelte den Kopf.»Nein, Thomasine. Ich hab’s dir doch gesagt. Keine Ärzte.«
    Sie gab nicht nach. »Er wäre nicht wie die anderen Ärzte, Nick. Keine kalten Bäder und keine Leibesübungen – nicht diese Art von Unsinn. Er würde einfach nur mit dir reden.«
    Â»Nein.« Die Antwort wurde fast vom Donner verschluckt, aber sie sah sein heftiges Kopfschütteln, die sture Ablehnung in seinen Augen. »Verstehst du denn nicht? Genau das kann ich nicht. Es wäre ganz unmöglich.«
    Nicholas drückte seine halbgerauchte Zigarette in einem Pflanzentopf aus, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Wintergarten.
    Erschöpft von den Ereignissen des Tages und der vergangenen Nacht, trank Daniel bis zur totalen Bewußtlosigkeit.
    Der Donner weckte ihn auf. Er hob den Kopf vom Tisch und kämpfte mit den Nachwehen eines Alptraums. Die leere Flasche rollte herunter, zerbarst auf dem Boden, und er öffnete die Augen.
    Einen Moment lang beobachtete er nur das Gewitter: den Regen, der auf den Hof prasselte, den bleifarbenen Himmel. Sein Kopf schmerzte, sein Mund war trocken und seine Augen verklebt. Große Pfützen hatten sich draußen gebildet, und Regen strömte von den Dächern der Nebengebäude.
    Dann dachte er, Fay , und alle entsetzlichen Ereignisse des Tages fielen ihm wieder ein. Lally. Der Streit mit Fay. Daß er sie fast geschlagen hätte. In dem Moment war er sich wie sein Vater vorgekommen, was ihn entsetzt hatte. Er versuchte, sich hochzurappeln, warf dabei seinen Stuhl um und rief ihren Namen. Aber der Donner verschluckte den Klang seiner Stimme. Unsicher, vom Alkohol noch immer leicht schwankend, begann er, die Leiter hinaufzuklettern. Das Obergeschoß war leer.
    Er rannte in den Hof hinaus und durchsuchte alle Nebengebäude. Das Fahrrad stand im Schuppen. Ohne Fahrrad konnte sie nicht weit gekommen sein. Auf dem Weg war niemand zu sehen, das Dorf wirkte verlassen, das schwere Gewitter hatte alle Bewohner in die Häuser getrieben. Ihm fiel niemand ein, zu dem sie gegangen sein könnte. Und dann erinnerte er sich an die Windmühle. Potters’ Field.
    Er griff sich eine Laterne und nahm die Abkürzung über die Felder, den schnellsten Weg. Immer wieder zuckten große Blitze über den Himmel. Als er im Morast ausrutschte und aufs Gesicht fiel, wußte er, woran ihn all dies erinnerte. Einen quälenden Moment lang war er wieder in Flandern, der Donner war das Krachen der Mörser, der Blitz die Einschläge, wenn sie ihr Ziel gefunden hatten. Sein Gesicht und seine Hände waren mit Schlamm bedeckt, er bekam keine Luft.
    Mühsam rappelte er sich hoch, eilte weiter durch den Sturm, trampelte Disteln, Mohn und Flachs nieder. Dann erreichte er die Windmühle, stolperte und fiel fast zur

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