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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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schüttelte den Kopf. »Hab ihn seit der Beerdigung nicht mehr gesehen. Nicht, daß ich’s nicht versucht hätte. Der blöde Kerl macht keinem die Tür auf – entschuldigen Sie, Euer Ladyschaft.«
    Thomasine spähte durchs Küchenfenster. Durch die dreckige Scheibe konnte sie eine Menge schmutziger Tassen und Teller im Abwasch aufgetürmt sehen und eine Aschenspur vor dem Ofen.
    Â»Ist Daniels Schwester nicht bei ihm?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Die hat er vorgestern schon wieder weggeschickt. Ma hat’s gestern abend probiert – hat eine halbe Stunde lang gerufen, daß er kommen und aufmachen soll, aber es hat nichts genützt.«
    Besorgt sah Thomasine Harry an. »Vielleicht ist er nach London zurückgegangen.« Aber eigentlich glaubte sie das nicht. Der Daniel, den sie bei der Beerdigung gesehen hatte, wäre zu einem solchen Schritt nicht fähig gewesen. Vielleicht war er krank. Der Zustand der Küche verriet ihr, daß er sich vollkommen gehenließ.
    Unsicher sagte Harry: »Ich könnte die Tür aufbrechen, Euer Ladyschaft.«
    Â»Wirklich?« Sie sah, daß Harry Dockerill auf ihre Entscheidung wartete. »Ja. Tun Sie das, Harry. Ich glaube, das ist nötig.«
    Harry holte eine Axt aus dem Geräteschuppen und schwang sie gegen die Küchentür. Holzsplitter flogen durch die Luft, und ein metallisches Geräusch ertönte, als er das Schloß traf. Er trat beiseite, als Thomasine ins Haus ging.
    Die Küche war stickig und roch nach faulenden Lebensmitteln. Fliegen saßen auf einem Krug saurer Milch, Wespen summten um ein klebriges Marmeladenglas. Thomasine drehte sich der Magen um. Sie nahm den Milchkrug und schüttete den Inhalt in den Hof hinaus.
    Â»Könnten Sie den Herd anmachen, Harry? Ich sehe oben nach.«
    Sie kletterte die Leiter hinauf. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das Dunkel im Obergeschoß gewöhnt hatten, und dann sah sie ihn, bewegungslos auf der Matratze liegend. Einen Moment lang glaubte sie, ihre Angst, die sie nicht auszusprechen gewagt hatte, habe sich bestätigt: Daniel habe, wahnsinnig vor Trauer, dafür gesorgt, daß er nicht ohne Fay leben mußte. Doch dann entdeckte sie mit einem Seufzer der Erleichterung das leichte Heben und Senken der Brust und sah die leeren Flaschen, die auf dem Boden verstreut lagen.
    Sie rief nach unten: »Harry? Daniel ist hier oben. Ihm geht’s gut, er ist – betrunken, glaube ich.«
    Sie konnte Harry an der Ofentür herumhantieren hören. Thomasine kniete sich auf den Rand der Matratze und schüttelte Daniel an der Schulter.
    Â»Daniel, wach auf. Wach auf. Du mußt aufwachen.«
    Keine Antwort. Sie schüttelte ihn fester. Daniel öffnete kurz die Augen und sah sich blicklos um. »Hau ab«, lallte er, rollte auf die Seite und zog die Decke über den Kopf.
    Aufgebracht kniete sie neben ihm, sah ihn noch einmal an und kletterte dann wieder in die Küche hinunter. Dort suchte sie im Chaos des schmutzigen Geschirrs, bis sie fand, was sie brauchte: einen großen Krug. Sie füllte ihn mit Wasser aus dem Kübel und nahm ihn unter Harrys verwundertem Blick mit die Leiter hinauf.
    Â»Daniel«, sagte Thomasine laut. Als er wieder nicht antwortete, schüttete sie ihm das kalte Wasser über den Kopf.
    Ein wütender Aufschrei, dann stürzte er in einem Gewirr von Decken auf den Boden.
    Â»Was zum Teufel  …«
    Â»Tut mir leid, Daniel, aber ich mußte dich aufwecken. Du hast eine Menge getrunken, und vielleicht mußt du dich übergeben.«
    Â»Verdammt!« Er mühte sich wieder auf die Matratze zurück und rieb sich mit den Händen das Wasser aus den Augen. Dann sah er zu Thomasine auf. »Hau endlich ab und laß mich in Ruhe.« Er sah wütend aus.
    Sie kauerte sich neben ihm nieder. »Nein, das werde ich nicht«, erwiderte sie entschieden. »Hast du seit der Beerdigung etwas gegessen? Außer diesem Zeug hier etwas getrunken?« Sie deutete auf eine leere Whiskyflasche.
    Â»Das geht dich nichts an«, murmelte er. Seine Augen waren rot gerändert und sein Kinn von Bartstoppeln bedeckt. Sein Haar klebte in nassen, dunklen Locken an seinem Kopf. »Geh weg, Thomasine. Hau ab. Ich brauche dich nicht.«
    Einen Moment lang funkelten sie sich wütend an. Von unten war nur zu hören, daß sich Harry auf leisen Sohlen aus der Küche schlich.
    Â»Ich werde

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