Die Geisel
Zurück blieben drei Fälle, die ihr besonderes Interesse weckten. Sie alle waren in zeitlicher Nähe zu den Geburtstagen der Todesopfer geschehen. Ein Unfall hatte sich auf einer Baustelle ereignet. Der Junge hatte dort offenbar allein gespielt und war in die ausgehobene Grube für das Fundament eines Hauses gefallen. Vergeblich hatte er darum gekämpft, aus der Grube herauszukommen, war aber schließlich in dem metertiefen Schlamm ertrunken. In einem anderen Fall hatte ein Junge kaustisches Soda zu sich genommen. Seine Leiche war erst zwei Tage später entdeckt worden, als die Mutter von einer Sauftour zurückkehrte. Im dritten Fall war ein Junge von einem Zug überfahren worden. Die Überreste des Jungen wurden auf der Bahntrasse unweit seines Elternhauses gefunden. Es gab keinerlei Zeugen. Er war an seinem Geburtstag gestorben.
Maja stand auf und ging zum Fenster, um ein bisschen frische Luft hereinzulassen. Die Beamten, die sie nach Hause begleitet hatten, saßen bei geöffneten Türen in ihrem Wagen und rauchten. Sie war dankbar für ihre Anwesenheit. Dennoch nervte es Maja, dass sie stets behaupteten, keine Auskunft geben zu dürfen, wenn sie sie nach dem Stand der Ermittlungen fragte. Vermutlich wollten sie damit die Tatsache bemänteln, dass die Ermittlungen auf der Stelle traten. In den letzten Tagen war sie oft drauf und dran gewesen, Katrine anzurufen und auszuquetschen; da aber selbst die Presse nichts aus ihr herausbekam, würde wohl auch Maja keinen Erfolg damit haben. Alle hielten gespannt den Atem an und warteten, was Pan als Nächstes tun würde.
Sie kehrte an den Bildschirm zurück und las die drei Berichte, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchte. Keiner der drei Fälle schien sich markant von den jeweils anderen zu unterscheiden. Sie brauchte eine fachlich begründete Einschätzung; musste die Berichte jemandem zeigen, der sich täglich mit dem Tod und dessen Spuren beschäftigte. Jemandem, der diese Jungen vielleicht selbst obduziert hatte. »Stig!«, rief sie.
»Ja«, antwortete er und erschien kurz darauf in der Türöffnung.
»Sag mal, könntest du nicht mal wieder dieses fantastische kambodschanische Gericht machen?«
»Kann ich schon«, sagte er und runzelte die Stirn. »Aber das letzte Mal hast du dich darüber beklagt, dass du von der Kokosmilch einen Laktoseschock bekommst.«
Sie lächelte entschuldigend. »Manchmal hast du’s wohl nicht leicht mit mir.«
Er entgegnete nichts.
»Ich habe nur gedacht, dass wir Jeanette und Hans Henrik am Samstag zum Essen einladen könnten. Die beiden könnten mal eine kulinarische Anregung gebrauchen.«
Stig seufzte. »Also eigentlich lege ich keinen besonderen Wert auf die Gegenwart dieses Leichenfledderers. Außerdem ist er stinklangweilig.«
»Was heißt hier Leichenfledderer?« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist Pathologe. Und wäre es nicht schön, mal wieder Gäste zu haben?«
Stig schloss die Augen und machte ein lautes Schnarchgeräusch.
»Jetzt hör schon auf. Vielleicht ist er nicht besonders aufregend, seine Arbeit ist es umso mehr. Hinsichtlich deines Buches und all den Leuten, die darin ertrinken, hast du doch auch bestimmt ein paar Fragen an ihn.«
»Meine Recherchen sind bereits abgeschlossen«, erwiderte er und verschwand in der Küche.
»Okay, also sagen wir sieben Uhr?«
Aus der Küche kam keine Antwort.
22
»Was hast du für einen tollen Mann, Maja. Wollen wir nicht tauschen? Hans Henrik kann weder kochen noch Türen lackieren«, sagte Jeanette.
Sie ging voraus, während sie alle das benutzte Geschirr in die Küche trugen. Jeanette hatte zu viel getrunken und schwankte bedrohlich auf ihren hohen Absätzen.
Hans Henrik zuckte die Schultern und stellte die Gläser auf den Tisch. »Sie hat Recht. In einer Küche bin ich total aufgeschmissen, ob mit oder ohne Türen.«
»Dafür hast du bestimmt viele andere Talente«, entgegnete Maja.
»Ja, er hat gewisse Qualitäten, nicht wahr, Bussibärchen?« Sie kniff ihn liebevoll in die Wange.
»Natürlich, Mausilein«, antwortete er und küsste sie auf die Stirn.
Jeanette spülte die Teller ab. Maja lächelte ein wenig angestrengt. Sie hatte gewisse Schwierigkeiten mit Ehepaaren, die wie Babys miteinander sprachen. Das hatten Stig und sie Gott sei Dank noch nie getan. Vielleicht entwickelte sich so was mit der Zeit, wenn man lange genug zusammenlebte.
Sie überließ Stig das Kaffeekochen und Jeanette den Abwasch, während sie Hans Henrik mitsamt den Kaffeetassen
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