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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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und sie lagen nebeneinander auf der festgestampften Erde. Durch die trockene Höhlenluft konserviert, hatten die Knochen überdauert, während das Fleisch längst zu Staub zerfallen war. Ein winziger Rest brauner, pergamentartiger Haut haftete noch an einem Schädel, eine verblichene Strähne wehte sachte im Luftzug, den wir verursacht hatten.
    »Mein Gott«, flüsterte ich, als fürchtete ich, sie zu stören. Ich trat näher zu Jamie, der seine Hand um meine Taille legte.
    »Glaubst du... sie wurden... hier getötet? Geopfert vielleicht?«
    Jamie schüttelte den Kopf und starrte nachdenklich auf das Häufchen zerbrechlicher Knochen.
    »Nein.« Auch er sprach leise, als befände er sich im Allerheiligsten einer Kirche. Er wandte sich um und zeigte auf die Wand hinter uns, wo Hirsche sprangen und Kraniche sich in die Lüfte erhoben.
    »Nein«, wiederholte er. »Menschen, die solche Tiere geschaffen haben... wären dazu nicht imstande gewesen.« Noch einmal blickte er auf die beiden Skelette, die in inniger Umarmung zu unseren Füßen lagen. Er beugte sich über sie, zeichnete behutsam die Linien der Knochen mit dem Finger nach, ohne deren elfenbeinfarbene Oberfläche zu berühren.
    »Schau, wie sie liegen«, sagte er. »Sie sind hier nicht gestürzt, und ihre Körper wurden auch nicht aufgebahrt. Sie haben sich selbst so hingelegt.« Seine Hand glitt über die langen Armknochen des größeren Skeletts.
    »Er hatte seine Arme um sie gelegt«, erklärte er. »Seine Schenkel lagen an den ihren, er hielt sie eng an sich gedrückt, und sein Kopf ruhte auf ihrer Schulter.«
    Seine Hände bewegten sich über die Skelette, erklärten dieses, zeigten jenes und verliehen ihnen neues Leben, so daß ich sie vor mir
sah, wie sie gewesen waren, in einer letzten, ewig währenden Umarmung. Die beiden hatten Hand in Hand auf den Tod gewartet.
    Jamie war aufgestanden und nahm das Innere der Höhle in Augenschein. Die Spätnachmittagssonne malte karminrote und okkerfarbene Flecken auf die Felswände.
    »Da.« Er deutete auf eine Stelle neben dem Höhleneingang. Der Fels war dort von Staub und Alter gebräunt, aber nicht durch eindringendes Wasser und Erosion rostrot gefärbt wie im Höhleninnern.
    »Das war früher der Eingang«, erklärte er. »Die Felsen sind schon einmal herabgestürzt und haben den Zugang verschüttet.« Er drehte sich um und legte die Hand auf den Felsvorsprung, der die Liebenden vor dem Licht schützte.
    »Bestimmt haben sie sich Hand in Hand durch die Höhle getastet«, überlegte ich, »auf der Suche nach einem Ausgang, gefangen in Staub und Dunkelheit.«
    »Aye.« Jamie lehnte die Stirn gegen den Stein und schloß die Augen. »Und das Feuer war erloschen, und die Luft war bald verbraucht. Also legten sie sich im Dunkeln nieder, um zu sterben.« Die Tränen hinterließen feuchte Spuren auf seinem staubbedeckten Gesicht. Auch ich rieb mir die Augen, nahm seine freie Hand und verflocht meine Finger mit den seinen.
    Wortlos wandte er sich mir zu, und mit einem tiefen Seufzer zog er mich an sich. Im schwindenden Licht der untergehenden Sonne suchten unsere Hände begierig nach der Wärme und Gewißheit lebendiger Haut, und die Härte der unsichtbaren Knochen darunter mahnte uns, wie kurz das Leben ist.

FÜNFTER TEIL
    Heimkehr

30
    Lallybroch
    Man nannte es Broch Tuarach wegen des Steinturms, der auf dem Hang hinter dem Gutshaus emporragte. Die Bewohner dieses Anwesens nannten es »Lallybroch«. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, bedeutet das »träger Turm«, was ebensoviel Sinn machte wie der Ausdruck »nach Norden schauender Turm« für einen zylinderförmigen Bau.
    »Wie kann etwas, das rund ist, nach Norden schauen?« fragte ich, während wir den felsigen, mit Heidekraut bewachsenen Abhang hinuntergingen. Wir führten die Pferde einzeln hintereinander auf dem schmalen, gewundenen Pfad, den das Rotwild durch das Gestrüpp getrampelt hatte. »Es hat doch keine Augen.«
    »Aber eine Tür«, erwiderte Jamie sachlich. »Die Tür geht nach Norden.« Er suchte mit den Füßen festen Halt, als der Hang steiler wurde, und pfiff dem Pferd, das er hinter sich herführte. Die muskulösen Hinterbacken des Pferdes strafften sich, als es vorsichtig zu tänzeln begann; auf dem feuchten Gras rutschte es bei jedem Schritt. Die Pferde aus Inverness waren große, prächtige Tiere. Sicherlich hätten die zähen kleinen Hochlandponys den steilen Hang leichter bewältigt, aber diese Pferde, alles Stuten, waren zur Zucht, nicht

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