Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
lächelte und deutete mit dem Kinn zum Hügel. »Siehst du die kleine Eiche dort? Und die Esche daneben?«
    Verwundert sah ich zu den Bäumen hinauf. »Ja. Was ist mit ihnen?«
    »Die Blätter, Sassenach. Siehst du, daß die Bäume heller aussehen als gewöhnlich? Wenn die Luft feucht ist, drehen sich die Blätter der Eiche und der Esche um, so daß man die Unterseite sieht. Der ganze Baum wirkt etwas heller.«
    »Das mag sein«, gab ich unsicher zurück, »wenn man weiß, wie der Baum normalerweise aussieht.«
    Jamie lachte und nahm mich am Arm. »Ich habe vielleicht kein Ohr für Musik, Sassenach, aber ich habe Augen im Kopf. Und ich habe diese Bäume wohl schon zehntausendmal betrachtet, bei jedem Wetter.«
    Von den Feldern bis zum Gutshaus war noch ein ganzes Stück Weg zurückzulegen. Wir gingen die meiste Zeit schweigend und genossen die Wärme der nachmittäglichen Sonne auf dem Rücken. Ich schnupperte in der Luft und dachte mir, daß Jamie wohl recht hatte mit dem Regen; all die herbstlichen Gerüche - vom scharfen Harzduft der Kiefern bis zum staubigen Geruch reifen Getreides - waren intensiver geworden. Anscheinend stimmte auch ich mich allmählich auf den Rhythmus, den Anblick und die Gerüche von Lallybroch ein. Mit der Zeit würde ich sie vielleicht ebensogut kennen wie Jamie. Ich drückte seinen Arm und spürte den Druck seiner Hand als Antwort.
    »Vermißt du Frankreich, Sassenach?« fragte er plötzlich.
    »Nein«, sagte ich verblüfft. »Weshalb?«
    Er zuckte die Schultern, ohne mich anzusehen. »Nun, als ich dich den Hügel herunterkommen sah, mit dem Korb am Arm, dachte ich mir, wie hübsch du doch bist, wenn die Sonne auf deine braunen
Haare scheint. Es kam mir so vor, als hättest du schon immer hier gelebt, wie ein junger Baum - dieser Erde entsprossen. Und dann schoß mir plötzlich durch den Kopf, daß Lallybroch für dich vielleicht nur ein armseliges Fleckchen Erde ist. Das Leben hier ist nicht glanzvoll, nicht wie in Frankreich. Und du hast nicht einmal eine interessante Arbeit wie im Spital.« Er sah mich vorsichtig an. »Ich glaube, ich habe Angst, daß es dir hier langweilig wird - mit der Zeit.«
    Ich schwieg eine Weile, bevor ich antwortete, obwohl ich mir darüber schon einige Gedanken gemacht hatte.
    »Mit der Zeit«, sagte ich bedächtig. »Jamie - ich habe in meinem Leben schon viel mitgemacht, und ich habe viele Orte gesehen. Dort, wo ich herkomme, gab es Dinge, die ich manchmal vermisse. Ich möchte manchmal in London mit dem Bus fahren oder den Telefonhörer in die Hand nehmen und mit jemandem reden, der weit weg ist. Ich möchte einen Wasserhahn aufdrehen und warmes Wasser haben und es nicht immer von der Quelle holen und in einem Kessel warm machen müssen. Das würde mir gefallen - aber ich brauche es nicht. Und was das glanzvolle Leben betrifft: Ich habe es kennengelernt, und ich mochte es nicht. Hübsche Kleider sind ja schön und gut, aber wenn Klatsch, Intrige, Verdruß, dumme Feste und kleinliche Etikette damit verbunden sind... nein. Da laufe ich lieber im Hemd rum und sage dafür, was mir gefällt.«
    Er lachte, und ich drückte noch einmal fest seinen Arm.
    »Was die Arbeit angeht... ich habe doch zu tun hier.« Ich sah hinunter auf den Korb mit Kräutern und Arzneien, den ich am Arm trug. »Ich kann mich doch nützlich machen. Und wenn ich Mutter Hildegarde oder meine anderen Freunde vermisse - na ja, auch wenn es nicht so schnell geht wie mit dem Telefon, gibt es immerhin die Briefpost.«
    Ich blieb stehen und blickte ihn an. Das Licht der untergehenden Sonne warf einen goldenen Schimmer auf sein Gesicht und ließ die Backenknochen deutlich hervortreten.
    »Jamie... ich möchte da sein, wo du bist. Nirgendwo sonst.«
    Er stand einen Augenblick lang still da, dann gab er mir sehr sanft einen Kuß auf die Stirn.
     
    »Es ist lustig«, sagte ich, als wir den Hügel zum Haus hinuntergingen. »Ich hatte mir über dich genau die gleichen Gedanken gemacht.
Ob du hier glücklich bist nach all dem, was du in Frankreich erlebt hast.«
    Er lächelte wehmütig und blickte hinunter auf das dreistöckige weißverputzte Steinhaus, das im Licht der untergehenden Sonne golden und ockerfarben schimmerte.
    »Nun, das ist mein Zuhause, Sassenach. Ich gehöre hierher.«
    Ich berührte leicht seinen Arm. »Es ist deine Bestimmung, willst du sagen?«
    Er holte tief Luft und legte seine Hand auf den Holzzaun, der einen Acker von den Feldern am Haus abgrenzte.
    »Eigentlich war es nicht

Weitere Kostenlose Bücher