Die Geliehene Zeit
ausartete, griff Jamie ein.
Mit einem Ausdruck, der ahnen ließ, daß seine Geduld am Ende war, packte er die beiden Unholde am Nacken und zerrte sie in die Scheune, wo er, wie ich vermutete, alle noch bestehenden Skrupel gegenüber körperlicher Züchtigung ablegte und ihnen eine tüchtige Tracht Prügel verabreichte. Dann verließ er kopfschüttelnd die Scheune, schnallte seinen Gürtel wieder fest und ritt mit Ian das Tal hinauf nach Broch Mordha. Die Jungen kamen eine Weile später aus dem Stall, zerknirscht, kleinlaut und - im Leiden vereint - wieder die allerbesten Freunde.
Sie waren so butterweich, daß sie es sogar zuließen, daß der kleine Jamie sich ihnen anschloß, während sie ihre Arbeit erledigten. Als ich am späten Vormittag dann aus dem Fenster blickte, sah ich alle drei im Hof mit einem Stoffball spielen.
»Ein hübscher kräftiger Junge, dein Kleiner«, sagte ich zu Jenny, die in ihrem Nähkorb nach einem Knopf suchte. Sie blickte auf, sah hinaus in den Hof und lächelte.
»Ja, unser Jamie ist ein lieber Kerl.« Sie trat zu mir ans Fenster und beobachtete die spielenden Kinder.
»Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten«, fuhr sie liebevoll fort, »aber er wird, glaube ich, breiter an den Schultern.
Womöglich wird er einmal so groß wie sein Onkel. Siehst du seine Beine?« Sie hatte wohl recht; der kleine Jamie, knapp vier Jahre alt, war zwar noch pummelig, doch er hatte lange Beine, und sein Rücken war breit und muskulös. Er hatte den gleichen Knochenbau wie sein Onkel, und wie bei seinem Onkel hatte man das Gefühl, er sei aus zäherem Material als gewöhnliche Sterbliche.
Ich beobachtete, wie sich der Kleine auf den Ball stürzte, ihn sich flink schnappte und Rabbie MacNab zuwarf. Der Ball schoß haarscharf an dessen Kopf vorbei, und Rabbie MacNab fuhr herum, um ihn zu fangen.
»Noch etwas hat er mit seinem Onkel gemein«, sagte ich. »Ich glaube, er wird Linkshänder wie er.«
»O Gott!« rief Jenny und runzelte die Stirn. »Hoffentlich nicht, aber du könntest recht haben.« Sie schüttelte seufzend den Kopf.
»Mein Gott, wenn ich an die Scherereien denke, die der arme Jamie hatte! Alle versuchten, es ihm auszutreiben, angefangen bei unseren Eltern bis hin zum Lehrer, aber er war stur wie ein Holzklotz und gab nicht nach. Alle waren dagegen, bis auf Ians Vater«, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu.
»Er betrachtete Linkshändigkeit nicht als Makel?« fragte ich neugierig, da ich wußte, daß man zu jener Zeit Linkshändigkeit bestensfalls für ein Unglück, schlimmstenfalls für ein Zeichen von Besessenheit hielt. Jamie schrieb - unter Schwierigkeiten - mit der rechten Hand, weil er in der Schule geschlagen worden war, wenn er die Feder in die linke Hand nahm.
Jenny schüttelte den Kopf, und ihre schwarzen Locken wippten unter ihrer Haube hin und her.
»Nein, er war ein seltsamer Mann, der alte John Murray. Er meinte, wenn Gott es so gewollt hat, daß Jamies linker Arm stark wird, dann sei es eine Sünde, diese Gabe zu verschmähen. Er verstand es, das Schwert zu führen, der alte John, und deshalb hörte mein Vater auf ihn und ließ Jamie den Kampf mit der linken Hand erlernen.«
»Ich dachte, Dougal MacKenzie hat Jamie beigebracht, linkshändig zu kämpfen«, warf ich ein. Ich wollte hören, was Jenny von ihrem Onkel Dougal hielt.
Sie nickte und leckte das eine Ende ihres Fadens ab, bevor sie ihn mit einer raschen Bewegung durch das Nadelöhr führte.
»Aye, das stimmt, aber das war erst später, als Jamie größer war
und zu Dougal geschickt wurde. Ians Vater hat ihn die Anfänge gelehrt.« Sie lächelte und blickte nachdenklich auf das Hemd in ihrem Schoß.
»Ich erinnere mich noch genau; als sie noch klein waren, sagte der alte John zu Ian, es sei seine Aufgabe, stets auf Jamies rechter Seite zu stehen, um im Kampf die schwächere Seite seines Clanführers zu schützen. Und das hat er auch getan - sie haben es sehr ernst genommen, die beiden. Und ich glaube, der alte John hatte recht«, fügte sie hinzu und schnitt den überstehenden Faden ab. »Bald waren sie unbesiegbar, nicht einmal die Jungen von MacNab konnten gegen sie ankommen. Jamie und Ian waren großgewachsen und tüchtige Kämpfer, und wenn sie Schulter an Schulter standen, konnte es niemand mit ihnen aufnehmen, auch wenn ihnen die Gegner zahlenmäßig überlegen waren.«
Plötzlich lachte sie und strich sich eine Haarlocke hinters Ohr.
»Beobachte sie einmal, wenn sie zusammen über die
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