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Die Giftköchin

Die Giftköchin

Titel: Die Giftköchin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Sommer, wie könne Linnea auf der Straße herumlaufen mit den Pfoten in diesem Fellknäuel? Linnea erklärte, sie sei schon so alt, daß sie wegen des Rheumatismus ihre Hände und besonders die Gelenke schützen müsse, egal ob es Sommer oder Winter sei.
    Jetzt waren sie fertig zum Aufbruch. Linnea war sich sicher, daß man sie auf ihre letzte Reise schickte.
    Zuerst in den Fahrstuhl, dann nach unten. Pertti Lahtela preßte Linneas zarten Arm in seiner Pranke und zischte, wenn sie nicht brav und schweigsam neben ihm ginge, gebe es Unannehmlichkeiten. Linnea war g e zwungen, ihrem Begleiter zu folgen. Sie gaben ein hü b sches Bild ab: Ein erwachsener Sohn geht Arm in Arm mit seiner alten Mutter in den sonnenbeschienenen, grünen Park.
    Das Ziel hieß also Eerikstraße. Lahtela führte die alte Dame mit festem Griff und zügigem Schritt durch die Südliche Hesperiastraße, vorbei am Badestrand und den Parkanlagen mit dem Krematorium, er hatte offenbar einen ruhigen Fußweg zwischen Töölö und dem Zentrum im Sinn.
    »Drück nicht dauernd meinen Arm, sonst bekomme ich blaue Flecken, und der Muff fällt mir herunter«, beklagte sich Linnea bei ihrem Begleiter, aber Pertti Lahtela lockerte den Griff nicht. Linnea kam es vor, als würde sie vom Henker geführt. Sie spürte gleichsam die Nähe des Todes.
    Die sommerlich grünen Parks waren um diese Nac h mittagsstunde fast verlassen. Linnea sagte sich, daß sie nicht mehr viel Hoffnung habe. Zu schreien wagte sie nicht, der Bursche neben ihr würde ihr womöglich den Arm ausrenken und sie vor Wut auf der Stelle totschl a gen. Und wer kümmerte sich heutzutage in der Gro ß stadt um die Schreie einer alten Frau? Immer wieder wurden alte Leute auf der Straße beraubt und mißha n delt, und die Passanten machten sich kaum die Mühe, anschließend für die Unglücklichen einen Krankenw a gen zu rufen. Jeder schützte seine eigene Haut, schaute weg, wenn ein anderer geschlagen wird. Die Menschen waren heute genauso roh wie gleich nach dem Krieg, damals mußte man in Helsinki um sein Leben fürchten, als die Soldaten, die fünf Jahre Front hinter sich hatten, ins Zivilleben entlassen worden waren und betrunken in der Stadt randalierten. Aber aus welchem Krieg kamen die heutigen Burschen, an welchem Frontabschnitt hatten sie ihr Vaterland verteidigt? Wieviele Jahre hatte denn dieser Pera im Schützengraben gezittert? Es schauderte Linnea, als sie den rasch neben ihr au s schreitenden Mann betrachtete. Sie kam immer mehr zu der Überzeugung, daß sie von diesem Gang nicht z u rückkehren würde. Zur Eerikstraße war man unte r wegs? So hatte es jedenfalls geheißen.
    Aus dem Urnenhain führte der Weg zum Friedhof Hi e taniemi. Linnea bat, daß man bei Kekkonens [3] Grabstein Halt mache, sie habe noch gar keine Gelegenheit gehabt, ihn zu sehen, außer auf Bildern natürlich. Pertti Lahtela sagte, es sei keine Zeit, irgendwelche Steine zu beglo t zen.
    Linnea hatte das Gefühl, sie würde zur Hinrichtung geführt. Darum handelte es sich ja wohl. Wieder kam ihr die Kriegszeit in den Sinn. Damals hatte es geheißen, die Deutschen brachten die Juden in Konzentrationslager, doch nicht alle Leute hatten es geglaubt. Oft hatte Li n nea darüber nachgedacht, wie sich ein Mensch fühlen mag, wenn man ihn ohne Grund von zu Hause abholt und er nicht weiß, ob er jemals zurückkehren wird. Man konnte es sich nicht wirklich vorstellen, wenn man nicht irgendwann selbst das gleiche Schicksal erlitt. Jetzt begriff Linnea, wie sich die Juden gefühlt haben mu ß ten. Man war wie gelähmt, folgte einfach seinem Begle i ter, dachte an unnütze Dinge, ging wie eine Maschine. Und je länger der Weg, desto unmöglicher erschien einem die Rettung.
    Linnea kamen die Tränen. Pertti Lahtela wurde ne r vös. Nun mußte die Alte auch noch in der Öffentlichkeit anfangen zu flennen. Er schnauzte sie grob an, aber Linnea konnte ihre Tränen nicht mehr aufhalten.
    Als sich Passanten näherten, verfiel Pertti Lahtela auf die Idee, ebenfalls zu schluchzen, so als ob auch er tiefen Schmerz empfände. Zugleich sprach er mit gebr o chener Stimme Trostworte zu der alten Dame, erklärte ihr, das Leben gehe weiter. Als sicheren Beweis für seine große Trauer griff er sich im Vorbeigehen von einem frischen Grab ein Blumengebinde. Nun war der Ei n druck der trauernden Hinterbliebenen perfekt, die en t gegenkommenden Passanten erkannten, daß hier auf dem Kiesweg des Friedhofs eine trauernde, alte Frau, gestützt von

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