Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
wollt Ihr mit ihnen tun, Shea?«
»Zuerst bringen wir sie ans Feuer. Dann werden wir etwas Kleidung und Essen und einige Verbände suchen, um das blutende Bein zu versorgen. Wir werden uns überlegen, was wir Davin erzählen, wenn die Fuhrleute wieder abgefahren sind.« Es fühlte sich gut an, Befehle zu erteilen, gut, Probleme wie eine Sonne zu lösen. Shea wandte sich an das erste Mädchen, diejenige, die verletzt war. »Kannst du laufen?«
»Ja.« Sie sagte dieses eine Wort bestimmt, aber Shea sah den zweifelnden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Nun, sie würden sehen.
»Und habt ihr auch Namen, Mädchen?«
»Ja. Ich bin Rani. Das ist Mair.«
»Rani. Mair.« Shea nickte und deutete auf den Hügel. »Ich bin Shea. Dann kommt mit. Crestman, schau, was du bei den Jungen finden kannst. Bring uns Hosen und Hemden und die wärmsten Umhänge, die du kriegen kannst.«
»Umhänge! Es sind keine übrig!«
»Woher weißt du das?«
»Ich bin ihr Hauptmann, Shea. Da habt Ihr mich wieder hineingezwungen.«
»Ich habe dich gezwungen? Du bist derjenige, der einen Anspruch erhoben hat, draußen auf der Straße.« Sie sah, wie sich Crestmans Gesicht verdüsterte, erkannte, dass eine längere Debatte drohte, als diese zitternden Mädchen ertragen konnten. »Du bist vielleicht ihr Hauptmann, Junge, aber ich bin eine Sonne. Ich vertraue darauf, dass du Umhänge finden wirst, wenn du nur gründlich genug suchst. Du hast auch neue Schuhe für dich selbst gefunden, oder?«
Sie glaubte einen Augenblick, der Junge würde weiterhin streiten. Er atmete tief ein, aber dann zuckte er die Achseln. »Gut, Shea. Aber Ihr werdet es Davin erklären.«
»Wenn Davin fragen sollte, werde ich es ihm nur allzu gerne erklären.« Um diesen alten Ziegenbock würde sie sich kümmern, wenn es nötig würde. »Kommt mit, Mädchen.« Sie drängte ihre Schützlinge auf ihr kleines Haus zu. »Und Crestman?«
»Ja?«
»Bring noch Feuerholz mit, wenn du die Kleider bringst.«
Rani blinzelte in der Helligkeit der Mittagssonne. »Schau, Mair! Sieh nur, wie nahe sie kommen!«
Sie musste schreien, um sich über den Lärm des Schlachtfelds hinweg verständlich zu machen, und es gelang ihr, einige Schritte näher an das Unberührbaren-Mädchen heran zu humpeln. Ihr Bein heilte nur langsam. Jedes Mal, wenn sie es belastete, riskierte sie es, den dünnen Schorf, der sich von ihrem Oberschenkel bis zum Knöchel zog, aufzureißen.
Sie vergaß ihre Verletzung jedoch beinahe, wenn sie beobachtete, wie die Jungen auf den Brustwehren des Schwanenschlosses hin und her liefen und ihre Brüder im Kleinen Heer beschimpften. Rani hatte zugesehen, wie die Offiziere die Jungen vor der Scheinschlacht ermahnten – dass sie so kämpfen sollten, als hinge ihr Leben von der Verteidigung des glänzenden, weißen Schlosses ab. Dies war offensichtlich eine entscheidende Prüfung in der Ausbildung der Jungen.
Während Rani zusah, dachte sie, dass diese Übung übertrieben hart war. Das Leben der Jungen wurde tatsächlich riskiert. Sie brachten sich in Gefahr, während sie das Schloss sowohl angriffen als auch verteidigten.
Dennoch erlernten sie Fähigkeiten, die sie im tatsächlichen Kampf brauchen würden. Es war wirklich das Gleiche, sann Rani, wie einem Glasmalerlehrling das edelste zarithianische Kobaltglas anzuvertrauen. Sie könnte das Material zerbrechen, sie könnte sich sogar mit einer messerschaften Kante die Handfläche zerschneiden, aber sie würde währenddessen gewiss lernen. Und wenn sie das edelste Glas nicht handhaben konnte, sollte sie es besser frühzeitig lernen. Bevor die Gilde viel in sie investiert hatte. Bevor ihre Glasmalerkollegen sich auf sie verlassen mussten.
Die Kinder auf den Brustwehren hatten sich die Befehle zu Herzen genommen. Sie scheuten keine Mühe, schleuderten Steine auf ihre Kameraden, ebenso wie gelegentlich einen brennenden Pfeil. Dennoch gelang es ihnen nicht, das erhitzte Öl zu entzünden, das sie nur Augenblicke zuvor über ihre Gefährten gegossen hatten.
Jene Gefährten – der Rest der Abteilung war im Schwanenschloss postiert – verrichteten ihre Aufgabe, als befänden sich auf den Mauern über ihnen keine schreienden Gegner. Die größten Jungen mühten sich mit dem schweren Steinschild ab, der ihre Kameraden vor Öl und Steinen schützte.
Der Schild war aus Schiefer gefertigt und mit Mörtel an einem Holzrahmen befestigt. Obwohl das Gebilde sehr schwer war, konnte es in jedem beliebigen Winkel geneigt werden. Der
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