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Die Göttin im Stein

Titel: Die Göttin im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Beyerlein
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Brust.
    Sie zog ihn an die freie Seite und sah zu, wie er trank, sein größerer Kopf neben dem kleinen. In jedem Arm ein Kind, schloß sie die Augen.
    Diese Müdigkeit, sie wurde sie nicht mehr los.
    Noch nie in ihrem Leben hatte sie so gänzlich ohne harte Arbeit gelebt wie jetzt. Keine Gartenarbeit und keine Feldarbeit, kein Brotbacken und kein Kochen, kein Mahlen und kein Stampfen, kein Weben und kein Walken, kein Waschen und kein Wassertragen.
    Und dennoch war sie stets müde.
    Weil ich so oft in der Nacht das kleine Vögelchen stillen muß, achtmal, zehnmal vielleicht, und dann auch noch Wirrkon, redete sie sich ein.
    Sie wußte, das war nicht der Grund.
    Das Stillen war eher eine Erleichterung. Beim Stillen wurde sie wieder ruhig, wenn sie mit rasendem Herzen aus einem der unzähligen Alpträume aufgefahren war, von denen sie immer nur das eine wußte: Etwas Furchtbares würde geschehen, etwas ganz und gar Entsetzliches.
    Seit sie wieder in diesem Haus war, in
seinem
Haus, suchten solche Träume sie noch öfter heim als in den Monden zuvor. Und erst Wirrkon oder das kleine Vögelchen an ihrer Brust machten ihr wieder klar: Es war alles gut.
    Im Augenblick jedenfalls. Solange
er
nicht zurückkam –Nicht daran denken!
    Die Göttin würde ihr helfen, wie sie ihr immer geholfen hatte.
    Naki öffnete die Augen, blickte zu dem Reisigbesen an der Tür, zum Zwischenboden hinauf, von dem gebündelte Kräuter und Tierhäute zum Trocknen herabhingen: Das alles konnte sie wieder anschauen ohne Angst. Keine Augen und keine Ohren und keine Stimmen. Auch nicht die Stimme von Tante Mulai, oder die von Onkel Ritgo.
    Die Göttin hatte sie von dem allem befreit. Wie Sie sie damals aus dem Verschlag befreit hatte. Wie Sie sie schon einmal von Lykos befreit hatte. Wie Sie ihr im Frühling geholfen hatte ihn zu täuschen, als er mit den Wolfskriegern ins Dorf gekommen war.
    Daß die Göttin nicht verhindert hatte, daß er Wirrkon raubte, das hatte so sein müssen. Das hatte sie längst verstanden. Die Göttin hatte dennoch alles zum Besten gekehrt.
    Sie
würde ihr auch weiter helfen. Da Sie ihr doch gezeigt hatte, wozu das alles nötig gewesen war. Wofür sie überhaupt am Leben war.
    Naki legte ihre Hand auf den Kopf des winzigen Mädchens.
    Dieses kleine Kind, das noch nicht einmal einen Namen hatte, das war ihre Bestimmung. Weil dieses Kind leben sollte, deshalb hatte sie in
sein
Haus zurückkehren müssen. Deshalb hatte alles so kommen müssen, wie es gekommen war.
    Vielleicht hatte die Göttin etwas Großes vor mit diesem kleinen Mädchen. Sie selbst war nur das Werkzeug des großen Willens. Und sie würde ein gutes Werkzeug sein.
    Sie würde dieses schwächliche Kind durchbringen. Sie würde dafür sorgen, daß es stark und gesund wurde.
    Die kranke Herrin konnte es nicht stillen. Noch immer glühte sie im Fieber. Noch immer schrie sie, gebeutelt von den Fieberdämonen. Und wenn die Herrin eines Tages wieder gesund wäre, dann würde sie keine Milch haben.
    Ein Wunder war es, daß die Herrin überhaupt noch lebte. Die Gnade und Hilfe der Hirschkuh. Und das Verdienst der Herrin Cythia.
    Cythia – was für eine Frau!
    Als die Qualen der armen Moria immer schlimmer geworden und alle verzweifelten Bemühungen Cythias, das zweite Kind von außen zu drehen und herauszudrücken, fehlfehlgeschlagenen, als es keine Pausen mehr zwischen den Wehen gegeben und ihre Stärke ein wahrhaft grauenerregendes Ausmaß erreicht hatte, als Naki bereits aufgegeben hatte, die heilige Hirschkuh um eine glückliche Niederkunft zu bitten, und nur noch einen Gedanken gehabt hatte: Eulengöttin, sei gnädig, erlöse diese Mutter mit ihrem Ungeborenen, nimm sie zu dir, sofort, so warte doch nicht länger – da hatte Cythia mit bleichem, vor Entschlossenheit finsterem Gesicht das Unfaßliche getan: mit der Hand, mit dem ganzen Unterarm in den Leib ihrer Schwester hineingelangt, sich Zugang zu der Höhle erkämpft, in der das Kind gefangen lag, es im Bauch gewendet und an einem Beinchen herausgezerrt.
    Ein Sohn, klein, schmächtig, blau angelaufen – und tot.
    Herrin Moria hatte Geburt und Tod ihres Sohnes kaum mehr wahrgenommen, so geschwächt war sie gewesen. Und von Augenblick zu Augenblick war sie schwächer geworden. Denn mit unstillbarem, stetem Schwall war das Blut aus ihr geströmt.
    Jetzt geht sie in Frieden, hatte sie gedacht und unter Tränen zugesehen, wie Cythia der Sterbenden in den einen Arm das lebende Kind gebettet hatte, in den anderen

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