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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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fühle; sie sind meinem Wesen einfach fremd, so daß ich sie bei anderen ohne große Entrüstung hinnehme, obgleich sie von unseren Kirchen als sündhaft erachtet und über alle Maßen hart mit dem Scheiterhaufen bestraft werden, wozu ich vermeine, daß man das Strafen besser dem höchsten Richter in der anderen Welt überlassen sollte, als hienieden in ein solches Übermaß an Grausamkeit zu verfallen.
    Ich weiß wohl, mancher wird die Nase darüber rümpfen, daß ich mich zur Abendmahlzeit mit einer Kammerjungfer und zwei niederen Dienern an einem Tisch niederlasse. Doch ich, der ich auf Mespech in den einfachen, althergebrachten ländlichen Sitten aufgezogen ward, nach denen das Gesinde zusammen mit dem Herrn bei Tische sitzt, sehe darin keine Schande noch Erniedrigung, zumal ich vermeine, daß die Magd, so sie fürs Bett taugt, auch für die Tafel taugen muß, wo das Augeden Tastsinn vertritt. Überdies halte ich dafür, daß kein Mahl so köstlich sein kann, daß es der Gesellschaft unseres Mitmenschen nicht bedürfte: mein Gaumen langweilt sich, so ich allein zu Tische sitze.
    Auch wenn es gewissen Leuten mißfallen mag, konnte ich nicht umhin festzustellen, daß Nicotin und Corinne von sauberem und gesundem Aussehen waren: klare Augen, glattes Gesicht, frischer Atem; und ich wage zu sagen, daß es mich mehr verlockte, die Suppe mit demselben Löffel wie sie aus der Schüssel zu essen, als bei manchem Abendessen im Hause großer Herren (die ich hier nicht nennen will), wo ich heimlich versuchte, das gemeinschaftliche Eßgerät mit einer Ecke meiner Serviette abzuwischen, so wenig Vertrauen flößte mir der finnige Mund ein, den es vor mir gefüllt. Wie sehr wünschte ich, daß in diesem Königreiche wenigstens die feinen Leute dem Beispiel der guten, sauberen Schweizer folgten, welche bei den Mahlzeiten jedem Tischgenossen seinen eigenen Löffel geben, damit ein jeder sicher sei, nicht etwas zu Munde zu führen, was zuvor schon eines anderen Lippen berührt hat.
    Die Speisen dieses kleinen Nachtmahles waren reichlich und köstlich, und so auch die Weine, welchen ich allerdings nur mit Mäßigkeit zusprach, wohl wissend, daß Bacchus, so man zuviel Umgang mit ihm pflegt, sich als trügerischer Freund der Venus erweist, welcher unsere Neigung zu ihr erstlich bestärkt, doch dann uns im Stich läßt. Corinne war dies gewißlich nicht unbekannt, wie ich wetten will, denn sie ermunterte mich nicht zum Trinken, sondern zu ganz anderem mit ihrer blonden Schönheit, den glänzenden Augen, den glühenden Wangen, den lockenden Regungen ihres Leibes als auch mit Blicken, welche so heiß, daß sie eine Lunte hätten entzünden können – eine Aufführung, welche meinen Argwohn weckte, denn bei einem solchen Lauf der Dinge konnte es leicht geschehen, daß die Herrin bei ihrem Erscheinen um Mitternacht den Braten von der Dienerin verspeist vorfände. Was hinter all dem steckte, darauf vermochte ich mir nicht den kleinsten Reim zu machen, so daß ich beschloß, auf meiner Hut zu sein, dem scheuen Wild gleich, das aus dem Dickicht tritt, nach allen Seiten äugend und witternd, jeden Augenblick bereit kehrtzumachen.
    Nachdem unsere Schmauserei geendet, erhob sich Corinne und befahl Nicotin und Miroul mit matter Stimme, doch sehrbestimmt, die Reste der Speisen vom Tisch zu räumen. Diese schickten sich an, den Befehl auszuführen, mein Miroul mit einem heiteren Ausdruck in seinem braunen Auge und Nicotin mit einem verständnisvollen Lächeln, welches mir höchstlich zu denken gab.
    »Doch ehe ihr uns verlaßt, meine Lieben«, sprach da Corinne, »wollen wir auf Monsieur de Sioracs Gesundheit trinken und ihm wünschen, sein Glück in der Liebe möge der Pracht seines Wamses nicht nachstehen.«
    Nach welchen Worten sie ein wunderschönes Trinkglas von Kristall ergriff, mit Goldfäden gezieret, und ein Stück geröstetes Brot hineinlegte, das zu Paris
tostée
genannt wird (woraus die Engländer, wie ich hörte,
toast
gemacht haben, denn dieses Volk hat die Angewohnheit, uns in allen Dingen nachzuäffen). Darauf füllte sie das Glas bis zum Rand mit edlem Burgunderweine, führte es an ihre zierlichen Lippen, einen Tropfen daraus zu trinken, um es alsdann Miroul zu reichen, welcher diesen Brauch (der in unserem Périgord gänzlich unbekannt) sogleich verstand und einen gehörigen Schluck nahm. Einen noch größeren trank Nicotin, ehe er mir mit Anmut den Kelch reichte, welchen ich mit zwei Händen erfaßte und auf einen Zug leerte

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