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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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ihr ins Studio gekommen war. Dann legte sie plötzlich ihr Gesicht in die einstudierten ernsten Falten und las, als hätte sie es bei der Sprecherziehung gelernt, mit einer Stimme, die eine halbe Oktave tiefer war: »Tausende von Kosovo-Albanern strömten auch heute wieder auf der Flucht vor den Bomben der NATO und dem Terror der Serben in Europas ärmstes Land. Unser Sonderberichterstatter hat uns folgenden Bericht aus Albanien geschickt…«
    »Da muß ich übrigens morgen oder übermorgen hin, Lise. Es tut mir leid«, sagte Toftlund.
    Sie wandte ihm das Gesicht zu, so daß seine Hand von ihrem Nacken rutschte.
    »Das tut es dir sicher«, sagte sie tonlos.
    »Nur für ein paar Tage.«
    »Es ist deine Entscheidung. Du machst ja sowieso, wozu du Lust hast.«
    »Es ist mein Job.«
    »Es ist unser Leben.«
    Er stand unschlüssig da und konnte plötzlich nichts mehr sagen oder erklären.
    »Ich werde wohl lieber mal das Sushi servieren.«
    »Hmm, ich glaube, mir ist gerade der Appetit auf Sushi vergangen, Per«, sagte sie, griff zur Fernbedienung und stellte demonstrativ den Ton lauter.

24
     
    T oftlund und Teddy saßen im Flugzeug nach Frankfurt, und nach einer Stunde im Flughafen und einer viertel Stunde in der Luft hatte Toftlund von diesem Mann mit den unumstößlichen Meinungen und dem nervtötenden Gebrabbel die Nase schon gestrichen voll. Der Kerl tat gerade so, als wäre die ganze Welt an seinen Kommentaren zu allen Dingen zwischen Himmel und Erde brennend interessiert. Toftlund hatte ja nichts gegen eine Unterhaltung, aber er selbst war mit dem Verkünden seiner Ansichten eher zurückhaltend. Wenn er etwas an Lise zu kritisieren hatte, dann eben, daß sie keine Nachrichtensendung sehen und keinen Leitartikel lesen konnte, ohne stante pede ihre Meinung kundtun zu müssen. Als wäre man nur am Leben, wenn man eine Meinung hatte und sie am besten auch noch in den Medien verbreitete. Toftlund hatte ein paar Grundüberzeugungen, und eine davon war, daß die meisten Fragen mehrere Antworten hatten und daß es nicht nur Schwarz oder Weiß gab, sondern das Leben meist aus Grautönen bestand und jede Antwort neue Fragen aufwarf. Toftlund fühlte sich erdverbunden. Am Abstrakten war er nicht sehr interessiert. Das war Zeitverschwendung. Für ihn zählte nur das Praktische. Das heißt, wie man eine spezifische Aufgabe löste, sei es einen Liter Milch einzukaufen oder einen Angeklagten zu einem Geständnis zu bewegen oder ihn aus der weiteren Ermittlung auszuschließen. Das reichte ihm. Teddy war anders. Alles mußte gedreht und gewendet und kommentiert werden. Anscheinend waren Intellektuelle so. Oder Akademiker. Nichts konnten sie als gegeben hinnehmen, ständig mußten sie Löcher in der Argumentation suchen oder etwas Selbstverständliches auf den Kopf stellen, so daß es mit einemmal kompliziert wurde. Das Leben war schon verwickelt genug, warum es also noch verwickelter machen mit der konstanten Fragerei nach dem Was-wäre-wenn? Auch im Fernsehen griff das immer mehr um sich. Was geschieht, wenn die Regierung zurücktritt? Was ist, wenn in dem Tunnelstück unter dem Großen Belt Feuer ausbricht? Was passiert, wenn man vier Liter Rohrfrei am Tag trinkt, bekommt man dann Krebs? Als könnte man nicht einfach alles so nehmen, wie es kommt. Aber das war letztendlich wohl nur ein Anzeichen dafür, daß in ihrem Vaterlande so erstaunlich wenig passierte, daß man gezwungen war, das Selbstverständliche kompliziert zu machen oder Geschichten zu erfinden, um die Medien damit zu füllen.
    Toftlund seufzte und sehnte sich nach Lise und hatte seinen Job satt und bedauerte, wie sie sich voneinander verabschiedet hatten. Lise mit einem säuerlichen: Na, dann eine gute Reise. Wo die Wörter zwar richtig waren, die Stimme aber ganz verkehrt klang. Als wäre er auf dem Weg in einen wohlverdienten Urlaub. Sind doch nur ein paar Tage, hatte er sauer und wütend und resigniert gemurmelt, und sie hatte einfach die Tür zugemacht, als das Taxi suchend ankam, weil sie in einem Neubauviertel wohnten, das selbst auf den neusten Stadtplänen noch nicht richtig eingezeichnet war.
    Er hatte keine Lust, das kalte Zeug zu essen, das die SAS Frühstück oder zweites Frühstück nannte, er schloß die Augen und schlief ein und wachte erst wieder auf, als er merkte, wie sie mit dem Anflug auf Frankfurt begannen. Teddy saß am Fenster und schaute auf die Wolkendecke, die die Maschine in gräuliche Watte packte. Er roch nach kostenlosem Rotwein und

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