Die guten Schwestern
einem frühen Kognak, aber er hielt seinen Mund, und der Schlaf hatte Toftlund gutgetan, so daß er beschloß, ein wenig nachsichtiger zu sein. Es war der 23. April, und als sie die Wolkendecke durchstießen, sah er die grünen Felder, bald würde richtiger Frühling sein, nicht mehr dieser lange trügerische, und er würde heimkommen, und bald wären sie dann zu dritt und für sie alle begänne ein neues Leben, weil das Kind ihr Dasein für immer verändern würde.
In Frankfurts chaotischem, dreckigem Flughafen, der so schlecht dazu paßte, daß die Deutschen überall für ihre Sauberkeit und Ordnung gerühmt wurden, fiel es einem schwer, bei Laune zu bleiben.
»Frankfurt ist die Hölle. Der Flughafen muß von einem verrückten Russen italienischer Abstammung entworfen worden sein«, sagte Teddy, als sie ihr Gepäck zu den Rolltreppen zu B41 schleppten. Toftlund mußte lachen. Die Beschreibung paßte wie die Faust aufs Auge: das Gewimmel der Menschen, die auf dem schmutzigen Boden herumtrampelten, und die bitteren Rauchschwaden, die über einer Gruppe von Leuten schwebten, die sich wie zu einer Gebetsversammlung um einen stinkenden Ascher unter dem Schild »Raucher« geschart hatten.
»Ich muß nur mal eben an der Leichenparade der Sünder teilnehmen«, sagte Teddy. »Wir haben ja genug Zeit.«
Er ging zu der Rauchergruppe, steckte sich eine Zigarette an und inhalierte begierig. Toftlund wartete geduldig und betrachtete die Szenerie: die vielen Menschen, die wie verdammte Seelen durch den Schilderdschungel irrten, C 20-98, A 20-90, B 20-41. Die Angaben klangen wie die verwickelten Kodes eines wahnsinnigen Dechiffrierexperten. Das einzig Ordentliche war eine kleine weiße Hochbahn, die regelmäßig fuhr und Passagiere einsammelte. Er verspürte eine gewisse Anspannung im Magen. Er war noch nie in Albanien gewesen. Das war das eine. Er wußte, daß es ein Land im Chaos war, überschwemmt von der größten Flüchtlingskatastrophe seit langem, arm und heruntergekommen, belastet mit einem schweren kommunistischen Erbe. Und das auch noch in dieser merkwürdigen chinesisch-albanischen Ausgabe, die Enver Hodscha in seinem Größenwahn geschaffen hatte. Er hatte das Land in einer paranoiden, autarken Diktatur, die es verarmt, verschmäht und erniedrigt zurückgelassen hat, vom übrigen Europa isoliert. Nun nannte es sich eine Demokratie mit Marktwirtschaft. Aus dem kurzen Infopapier des Außenministeriums, das ihm von einer einsilbigen, kühl-korrekten Charlotte in die Hand gedrückt worden war, hatte Toftlund allerdings geschlossen, daß es sich bei dieser Demokratie um eine ziemlich abstrakte Größe und bei der Marktwirtschaft um den Räuberkapitalismus eines Verrückten handeln mußte, bei dem mafiaähnliche Strukturen den grauen und schwarzen Markt steuerten, der weitaus größer war als der weiße.
Aber das andere, was ihm mehr als Kopfschmerzen bereitete, war der Auftrag an sich. Mira Majola zu finden, die sich unter anderem Namen in einem chaotischen Land inmitten einer halben Million Flüchtlinge herumtrieb – das schien eine unlösbare Aufgabe zu sein. Allerdings hatte er den Äußerungen des Amtes für Katastrophenschutz entnommen, daß kontinuierlich eine gewisse Form von Registrierung stattfand, wenn sich die Flüchtlinge an die UNO oder eine der vielen Hilfsorganisationen wandten, die schon jetzt im Lande tätig waren. Er hatte das Material, das sie besaßen, zu dem dänischen Büro in Durrës geschickt, das den Einsatz von UNO und Dänischer Flüchtlingshilfe koordinierte.
Es war dieses Albanien, das er beschrieb, als Teddy und er nach all den verwirrenden Gängen des Frankfurter Flughafens endlich ihre Abflughalle erreicht hatten. Sie standen am Ende einer Schlange dunkelhaariger Menschen, meist junger Männer. Flüge nach Albanien waren so unbeständig wie das dänische Aprilwetter. Sie hatten noch Glück gehabt, überhaupt eine Verbindung zu finden; sie ging über Frankfurt, dann weiter mit der Slovenian Air über Laibach und dann nach Tirana. So konnten sie sich den langen Bummelflug mit einer der Herkules-Transportmaschinen der Armee ersparen.
»Ist ja alles richtig, Toftlund«, kommentierte Teddy mit seiner klaren, schön modulierenden, etwas schleppenden Stimme. »Hinzu kommen noch Clanfehden und Blutrache bis in die dritte Generation. Zuerst Hodschas idiotischer Kommunismus, dann der galoppierende Räuberkapitalismus, wo alle wie die Bekloppten in Pyramidengesellschaften investierten und dann
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