Die Hand die damals meine hielt - Roman
»Verzweiflung«, »Qualen« und »unermesslicher Traurigkeit«, aber sie kann nichts Nützliches finden.
Sie lagert das Kind um, so dass es längs auf ihrem Unterarm liegt, sein Köpfchen in ihrer Hand. Mit der anderen Hand reibt sie ihm den Rücken. Es reagiert mit großem Ernst auf die Veränderung, mit konzentriert gerunzelter
Stirn, als ob es sagen will, ja, lass es uns mal so probieren, vielleicht klappt es so besser. Lasse, denkt sie, während sie auf sein seidiges Köpfchen hinunterschaut, Arto, Paarvo, Nils, Stefan. Wie soll man einen Namen für ein Kind aussuchen? Wie entscheidet man? Sieht er aus wie ein Peter, ein Sebastian, ein Mikael? Oder ist er ein Sam, ein Jeremy, ein David? Entlang der Adern und Sehnen ihres Arms spürt sie die winzigen Bewegungen, das peristaltische, wellenförmig sich fortsetzende Gurgeln seines kleinen Verdauungstrakts, und sie ist so vertieft in diese unmerklichen Veränderungen, dass sie, als sie den Kopf hebt und im dunklen Fenster unverhofft die Umrisse von zwei Köpfen vor sich sieht, einen schrillen Schrei ausstößt und herumfährt. Sie presst das Kind an sich, um es nicht fallen zu lassen.
Es ist Ted in seinen Joggingsachen, der hinter ihr ins Zimmer gekommen ist.
»Was für eine Begrüßung.« Er lächelt schief und wirft seinen Schlüsselbund aufs Sofa.
Das Kind, dem Elinas Schrei Angst gemacht hat, fängt wieder an zu schreien. Nicht mit den kratzigen, heiseren Tönen der letzten Stunde, sondern mit einem angespannten, sich immer höher schraubenden Brüllton.
»Du hast mich erschreckt«, sagt sie. Bei dem Lärm ist sie fast nicht zu verstehen.
»Entschuldige«, antwortet er. »Und, wie war euer Tag?«
Sie zuckt mit den Schultern.
»Soll ich ihn dir abnehmen?«
Elina nickt und gibt ihm das Kind. Ihre Arme fühlen sich leicht und merkwürdig taub an, wie bei dem Spiel, bei dem man sich mit den Handflächen gegen den Türrahmen stemmt, und wenn man loslässt, gehen die Arme wie von selbst in die Höhe.
Sie lässt sich aufs Sofa sinken, schließt die Augen, lehnt den Kopf in die niedrigen Polster. Blendet alles aus. Nach zwei, vielleicht drei Sekunden legt sich eine Hand auf ihren Arm.
»Ich glaube, er hat Hunger.« Ted hält ihr das Kind hin. »Kannst du ihn vielleicht stillen?«
»Herrgott noch mal«, schreit sie, während sie an ihrer Bluse reißt und versucht, sie sich unters Kinn zu klemmen, während sie mit dem BH-Verschluss kämpft, mit der Einlage und der richtigen Anlegeposition, während das Kind mit der Faust gefährlich nah an ihrer heißen, harten Brust vorbeidrischt. »Was glaubst du eigentlich, was ich seit einer Stunde mache?«
Erstaunt über ihren Wutausbruch, atmet Ted erst ein paarmal tief durch, bevor er antwortet. »Das kann ich doch nicht wissen«, sagt er schließlich besänftigend. »Ich bin ja eben erst heimgekommen.«
Das Kind windet sich wie ein Aal, es schnauft und zappelt vor Aufregung, vor Hunger. Sie wünscht sich nur eins, sich hinlegen zu können. Sie möchte sich bei Ted entschuldigen, möchte, dass sie die quälende, brennende Milch in ihrer Brust endlich los ist, dass ihr jemand ein Glas Wasser bringt, dass ihr jemand sagt, alles wird gut. Der Kleine zögert noch einen Augenblick, dann dockt er an, und Elinas ganzer Körper krümmt sich vor Schmerzen. Sekunden später fängt er endlich an zu saugen, versunken und andächtig. Seine Augen rollen hin und her, als ob er einen unsichtbaren Text liest.
Sie lässt vorsichtig die Schultern sinken, Millimeter um Millimeter, und hebt den Kopf. Ted hat sich in den Sessel gesetzt. Ein Bein über das andere geschlagen, sieht er ihnen nachdenklich beim Füttern zu. Doch als sie ihn anlächelt,
merkt sie, dass er in Wahrheit gar keinen Blick für sie hat, sondern wie blind an ihr vorbeistarrt.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Er blinzelt und sieht sie verwundert an. »Hm?«
»Alles - in - Ordnung?«
Er kommt wieder ganz zu sich. »Natürlich. Warum fragst du?«
»Nur so. Es kam mir einfach in den Sinn.«
»Aber ich kann das nicht leiden.«
»Was denn?«
»Dass du mich kontrollierst. Dass du dauernd wissen willst, wie es mir geht.«
»Wieso stört dich das?«
»Weil es lästig ist. Wie oft soll ich es dir noch sagen? Es geht mir gut.«
»Es ist dir lästig?«, wiederholt sie. »Es nervt dich, dass ich mir Sorgen um dich mache?«
Ted steht auf. »Ich gehe duschen.«
Sie liegen im Bett, alle drei, auf dem Rücken, in der Mitte, mit ausgebreiteten Ärmchen, das schlafende
Weitere Kostenlose Bücher