Die Hebamme von Venedig
Zusammenarbeit.«
Er hängte sich die Tasche über die Schulter. »Einen eindrucksvolleren Geschäftspartner als Euch kann ich mir nicht vorstellen.« Das zumindest entsprach der Wahrheit, und schon lief Isaak aus der Küche und an Nonnen mit Rosenkränzen an den Hüften vorbei Richtung Hafen.
Wenn Isaak, so Gott ihn erhörte, das Glück hatte, Hannah bald wieder in die Arme zu schließen und sie zu lieben, würde er sich das Bild Schwester Assuntas heute Morgen wieder vor Augen rufen, so wie sie in der Klosterküche vor ihm gestanden hatte, die muskulösen Arme vor der Brust gekreuzt, die stämmigen Beine gespreizt und die Kiefer fest zusammengebissen. Unter Juden wusste man, dass sich die Chancen auf einen Sohn erhöhten, wenn es dem Ehemann gelang, den Höhepunkt hinauszuzögern und die Frau erst zur Erfüllung kommen zu lassen. Das Bild Assuntas würde dafür sorgen, dass sie einen Sohn erhielten.
Er schob diesen versponnenen Gedanken zur Seite, als er die Glocke in der Stadt acht Mal schlagen hörte. Gertrudis’ Ruderboot wartete auf ihn. Er lief zur Bucht.
Kapitel 20
H annah kniete nieder und nahm Jessica in die Arme. Vorsichtig strich sie ihr die Haare aus dem Gesicht. Blut sickerte in ihren Schoß und sammelte sich auf dem Boden. Der Pistolenschuss hatte das Haus mit so viel Rauch und Pulvergeruch erfüllt, dass Hannah husten musste. Ihre Augen tränten, so dass sie die Tür und draußen die Fondamenta nur verschwommen sehen konnte.
»Bring mich nach oben«, sagte Jessica, »und dann folge den Soldaten und jage diesen Mistkerl. Ich habe eine Pistole im Nachtkästchen neben meinem Bett.«
»Jessica, versuche nicht zu sprechen.«
Jacopo hinterherzurennen wäre viel zu leichtsinnig und gewagt. Vielleicht würde er sie auch noch erschießen, und wer sollte sich dann um Matteo kümmern?
Hannah riss ein Stück Stoff aus ihrem Unterkleid und drückte es auf die Wunde in Jessicas Brust, aber das Blut war nicht zu stillen, und bald schon war der Stoff ein nasser roter Klumpen.
»Stirb nicht, Jessica«, sagte Hannah. Ihre Schwester verlor sehr viel Blut. »Ich liebe dich.«
Jessica schloss die Augen.
»Du weißt, dass ich dich immer geliebt habe, Hannah«, murmelte sie. »Selbst, als ich es nicht getan habe. Verstehst du?« Sie rang um Atem.
»Genauso war es bei mir«, sagte Hannah.
»Lass mich gehen, Hannah«, flüsterte Jessica. »Es ist zu spät für mich. Nimm Matteo und lauf. Das ist deine Gelegenheit. Lauf, während die Soldaten Jacopo jagen.«
»Ich kann dich nicht allein lassen.« Hannahs Tränen fielen auf die Wange ihrer Schwester. Sie wiegte Jessica so, wie sie es früher getan hatte, wenn die Jüngere nicht schlafen konnte, wiegte sie und hielt sie, bis ihre Schwester den letzten Atemzug tat und in ihren Armen zusammensackte.
Nach all den Jahren der Entfremdung hatte Hannah ihre Schwester wiedergefunden, nur um sie gleich wieder zu verlieren. Sie durfte nicht darüber nachdenken, der Schmerz war unerträglich.
Jessica fühlte sich leicht an. Hannah wusste, sie sollte sie waschen, in ein Tuch hüllen und noch vor Sonnenuntergang begraben. Sie sollte Schiwa sitzen – konnte aber nur daran denken, dass Jessica ohne sie noch leben würde. Jacopo mochte ja den Abzug gedrückt haben, aber hätte Hannah anderswo Zuflucht gesucht, wäre Jessica noch oben, würde lachend Pailletten aufnähen und sich am Bettpfosten festhalten, um sich von ihrer Zofe ihr Seidenkleid schnüren zu lassen.
Hannah war zu nichts anderem fähig, als einfach immer weiter hier auf dem Boden zu sitzen, Jessicas Kopf im Schoß, und ihr die dunklen Locken aus dem Gesicht zu streichen. Stundenlang hätte sie so dasitzen können, während der Körper ihrer Schwester immer kälter wurde, aber dann hörte sie Matteo oben schreien. Es blieb keine Zeit. Jessica würde es verstehen. Sie strich ihr mit der Hand über das Gesicht und schloss ihr die Augen. Hannah würde später um sie trauern.
Sie rannte hinauf in Jessicas Schlafzimmer und holte das Pagenkostüm aus der Cassone. Eilig stopfte sie ihr Haar unter das Barett und band sich die Brüste ab. Als sie Minuten später hinter Jessicas Paravent hervortrat und sich im Drehspiegel ansah, hob sie unwillkürlich die Hand an den Mund. Aus dem Spiegel sah sie ein schwarzäugiger Junge mit bleichem, ovalem Gesicht an, und ein Gefühl nicht gekannter Freiheit erfasste sie. Sie schien nicht länger eine Frau zu sein, nicht länger eine Jüdin und schon gar keine kleine Ghettomaus
Weitere Kostenlose Bücher