Die Heilerin von Lübeck
lange zusammen, um im Dienste des Königs Diebe, Mörder und andere Spitzbuben sowie Verräter an französischen Interessen dingfest zu machen. Aber was zu viel war, war zu viel. »Der Connétable ist von Philipp beauftragt worden, seine Männer insgeheim zu einer gewaltigen Verhaftungswelle auszuschicken«, keifte er. »Die Connétables! Verstehst du, was das bedeutet?«
Pépin schüttelte den Kopf.
»Der König erklärt uns Polizisten offen sein Misstrauen. Die Spitzel namens Connétables, von denen man häufig nicht weiß, was sie eigentlich tun, außer gelegentlich Streitigkeiten zwischen Rittern und anderen niedergebürtigen Adeligen zu schlichten, sollen jetzt die Sodomiten von Paris verhaften! Man glaubt es nicht!«
»Nein, das glaubt man nicht«, stimmte Pépin gehorsam zu.
»Wir werden das machen. Wetten, dass wir beide mehr von diesen obszönen Gottesleugnern einfangen als die ganze unfähige Connétablie? Wir müssen nur an der richtigen Stelle ein paar Erkundigungen einziehen.«
»Ja, ja«, stimmte Pépin zu, um Nouels lästiges Gerede endlich zu beenden, und beeilte sich, ihm über die Brücke zum Châtelet zu folgen, wo sie wie jeden Morgen den Tag mit Getreidemus und verdünntem Wein beginnen würden.
Am nächsten Morgen machte Taleke sich in der Morgendämmerung auf den Weg, ungeachtet der Tatsache, dass das Leben in Paris ganz andere Zeiten kannte als in Schönrade. Für die meisten Einwohner dauerte der Tag vom späten Vormittag bis tief in die Nacht.
Draußen merkte sie, dass weder Fußgänger noch frühe Gemüsekarren unterwegs waren. Dafür aber Boten, die in höllischem Tempo stadtauswärts ritten. Vor einem der Pferde konnte Taleke sich erst im letzten Augenblick in Sicherheit bringen, prallte dabei jedoch mit der Stirn an eine Hauswand.
Das Einzige, was an diesem Morgen nicht ungewöhnlich war, war der Priester, der zusammen mit einem vor Schlafmangel kümmerlich aussehenden Jungen wahrscheinlich zu einem Sterbenden eilte. Taleke schlug gewohnheitsmäßig das Kreuz und überlegte, was sie Meister Josse sagen sollte. Hauptsache war erst einmal, ihn nicht zu verpassen.
Nachdem Taleke unzählige Male an die Zimmertür des Chirurgen geklopft hatte, riss er sie auf.
»Was erlaubst du dir, mich so früh zu holen?«, brüllte er, »ich brauche meinen Nachtschlaf.«
Zweifellos, er sah jedoch aus, als hätte er kaum welchen gehabt. Sein Gesicht war gerötet und gedunsen, und er stank wie die schlimmste Taverne, in der Taleke je nach Arbeit gefragt hatte. Unwillkürlich blähte sie die Nüstern. Wein, Bier und noch anderes mochte der Mann in sich hineingeschüttet haben. Aber sie blieb stehen. Geduld hatte sie gelernt.
Nach einer Weile erkannte er Taleke. »Die pfiffige Gebieterin meines Lehrlings, wie heißt er doch gleich?«, murmelte er, zwischen den Türholmen schwankend.
»Nicolaus Puttfarcken. Und ich bin Taleke, keine Gebieterin.«
»Ja, ja.« Er drehte sich um und schlurfte ins Zimmer, was Taleke als Aufforderung betrachtete, ihm zu folgen. Er ließ sich schwerfällig auf sein Lager fallen. »Weiß er, dass du hier bist?«
Eine merkwürdige Frage. Vielleicht hatte sie den Mann aber auch falsch verstanden. »Nicolaus schickt mich.«
»Dann ist es gut. Du willst also nicht mit mir das Lager teilen, Talèk?«
»Nein!« Taleke war fassungslos und wäre am liebsten gegangen.
Josse hob beschwichtigend den abgemagerten Arm, den der Talarärmel freigab. »In Paris ist alles möglich. Trotzdem war es falsch von dir, so früh herzukommen. Hier betrachten wir das als unhöflich. Ich halte es dir zugute, dass du fremd bist. Was willst du?«
Der Wein hatte seine Zunge noch im Griff. Taleke hatte Mühe, Josses Nuscheln zu verstehen. »Nicolaus lässt sich entschuldigen. Er ist heute krank.«
»An diesem Tag wird er nicht der Einzige sein.«
»Gewiss nicht«, pflichtete ihm Taleke höflich bei, ohne zu wissen, warum Josse ein leises Lachen nicht unterdrücken konnte. »Seine Schwester ist gestorben.«
»Hat er die Nachricht jetzt erhalten?«, erkundigte sich Josse, plötzlich etwas wacher und eindeutig neugierig.
»Ja, gestern.«
»So, so, gestern.« Maître Josse lehnte sich an die Wand und grinste spöttisch. »Vorgestern und gestern wurden – aus gewissen Gründen, die unser geliebter König zu verantworten hat –, ausnahmslos alle Postreiter von und nach Paris aufgehalten.«
Taleke saß in der Falle. »Vielleicht hat er ihn schon davor erhalten«, mutmaßte sie
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