Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Deutschland gegenüber immer nachgiebiger wurde, war es isoliert.
In den vier Jahren nach der Friedenskonferenz, von Anfang 1919 bis Ende 1922, gab es in Europa eine internationale Konferenz nach der anderen zum Thema der Reparationszahlungen. Da in Frankreich und in Deutschland ständig die Regierungen stürzten – in diesen vier Jahren hatte Frankreich fünf und Deutschland sechs verschiedene Regierungen –, war der britische Premierminister Lloyd George bei allen diesen Konferenzen der einzige konstante Faktor. Er stürzte sich in die Sache, als wolle er sein Versagen in Paris wieder wettmachen. Es gibt eine Berechnung, nach der er in diesen wenigen Jahren an 33 verschiedenen internationalen Konferenzen teilgenommen hat. So viele von ihnen wurden in den Casinostädten und Erholungsorten Europas abgehalten – in San Remo im April 1920, in Boulogne im Juni, in Wiesbaden im Oktober 1921, in Cannes im Januar 1922 und der abschließende »Zirkus« im April 1922 in Genua –,
dass der französische Premierminister Raymond Poincaré verächtlich von »la politique des casinos« sprach.
Trotz des wunderbaren und luxuriösen Ambientes waren diese Treffen schmerzhafte Angelegenheiten, nicht zuletzt deshalb, weil die Franzosen so unsicher waren, was sie eigentlich wollten. Poincaré sagte im Juni 1922: »Aus meiner Sicht wäre es schmerzlich, wenn Deutschland zahlen müsste; dann müssten wir das Rheinland räumen. Was halten Sie für besser: Geld zu erhalten oder neue Territorien zu erhalten? Ich persönlich ziehe Besetzung und Eroberung dem Reparationsgeld vor.« Lloyd George drückte es prägnanter aus: »Frankreich konnte sich nicht entscheiden, ob es Rindergulasch kochen oder die deutsche Kuh melken wollte.«
All die uralten Animositäten zwischen den Briten und den Franzosen, die ein Jahrzehnt lang wegen des gemeinsamen Kampfs gegen Deutschland begraben waren, kamen nun wieder zum Vorschein. Die alten Stereotype über die Franzosen, dieses »hochnäsige, streitsüchtige und überempfindliche« Volk, die frühere Generationen von Engländern gepflegt hatten, erwachten wieder zum Leben. Außenminister Curzon beklagte die Neigung der Franzosen zur »Befriedigung privater, in der Regel finanzieller und oft schäbiger Interessen und Ambitionen, die nur zu oft unter Missachtung der normalen Regeln geradlinigen und loyalen Handelns verfolgt werden. Ein normaler Brite empfindet das instinktiv als abstoßend und beleidigend.« 1922 frustrierte ihn eine Begegnung mit dem französischen Premierminister einmal dermaßen, dass er in Tränen ausbrach und schrie: »Ich kann ihn nicht ertragen!«
Die Verhandlungen mit Deutschland waren auch nicht einfacher. Vor dem Krieg hatte ein amerikanischer Journalist diese »unangenehme Eitelkeit, diese Empfindlichkeit, die dazu geführt hat, dass Diplomaten in aller Welt über Deutschland verzweifelt sind«, beklagt. Die ursprüngliche Wut über das Versailler Diktat hatte sich inzwischen in Frustration, Bitterkeit und Groll verwandelt, was den Umgang mit der besiegten Nation nur noch schwieriger machte. Seit dem Moment, als sich der deutsche Außenminister Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau geweigert hatte aufzustehen, als er vor den Staatsmännern der Alliierten in Versailles eine Ansprache hielt, hatten die Deutschen durch ihr arrogantes Auftreten provoziert.
Dabei ging es nicht nur um ihre schlechten Manieren. Sie rechneten zutreffenderweise damit, dass sie letztlich desto weniger zahlen würden, je erfolgreicher sie die Verhandlungen über die Reparationen in die Länge ziehen konnten. Daher bestand ihre ganze Strategie darin, mit eben dieser Absicht zu verhandeln. In den ersten beiden Jahren nach der Unterzeichnung des Vertrags kratzte Deutschland verzweifelt alles zusammen, was es konnte und zahlte zwei Milliarden von den fünf Milliarden fälligen Raten.
Die Mitte 1920 in Paris eingerichtete Reparationskommission legte schließlich eine Schätzung auf den Tisch, dass Deutschland 33 Milliarden Dollar bezahlen sollte. Die Reaktion der Deutschen bestand darin, dass sie diese Zahl einer Reihe von Anpassungen unterzogen, die berücksichtigen sollten, was sie schon gezahlt hatten. Das war derart aus der Luft gegriffen, dass es sogar den deutschen Vertretern in Paris peinlich war. Und sie kamen zu der Schlussfolgerung, dass sie den Alliierten nun nur noch 7,5 Milliarden Dollar schuldeten. Das provozierte Lloyd George zu der Aussage, dass die Deutschen wohl bald Reparationen von den
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