Die Herrin Thu
dem Geräusch von Stimmen und raschen Schritten in der Eingangshalle atmeten alle auf. Sofort schob Takhuru ihren Tisch beiseite und floh. Shesira schrie auf und wollte ihr folgen, doch Men hielt sie mit einer schroffen Geste zurück. „Später“, sagte er. „Kamen, Kaha, ihr kommt mit.“ Wir verließen den Raum. Nesiamun stand genau im Eingang, hielt seine Tochter im Arm, und als er Kamen erblickte, machte er große Augen.
„Was ist los, Men?“ fragte er. Als Antwort verneigte sich Men und hielt ihm die Tür seines Arbeitszimmers auf.
„Unterhalten wir uns hier drinnen“, meinte er. „Pa-Bast, geh jetzt und iß.“
Ich verzagte schier bei der Aufgabe, Nesiamun meinen Teil der Geschichte zu erzählen, denn er war furchteinflößender als mein Arbeitgeber. Der Oberaufseher der Fayence-Werkstätten war kein höflicher Kaufmann. Er entstammte dem Hochadel und war kalt und klug, und er unterbrach mich oft und stellte mir barsche Fragen oder wies mir einen Widerspruch nach. Er konnte mir natürlich nichts nachweisen, denn ich sagte die Wahrheit, doch er kannte kein Erbarmen. Als er sich schließlich an Kamen wandte, änderte er seine Haltung ein wenig, aber Kamen konnte ihm auch von gleich zu gleich Rede und Antwort stehen.
So ging es hin und her, bis Nesiamun am Ende sagte: „Paiis und ich sind seit Jahren befreundet. Ich kenne ihn sehr gut, aber ich mache mir über ihn nichts vor. Militärisch ist er ein Genie oder könnte eins sein, wenn es noch Kriege gäbe, aber er ist auch habgierig und verschlagen. Ist er deswegen auch ein Verschwörer und Mörder? Du behauptest, er ist es. Ich kenne dich als ehrlichen Menschen, Kamen, also muß ich folgern, daß du entweder ganz und gar recht hast oder dich von der Nebenfrau, die dich geboren hat, hast hereinlegen lassen. Schwörst du mir bei deinem Schutzgott, daß du in Aswat einen Meuchelmörder umgebracht und vergraben hast, um dein eigenes Leben und das von Thu zu retten?“
„Ich schwöre“, antwortete Kamen sofort. „Und kommst du um eine Audienz beim Prinzen nach? Du bist ein bedeutender Mann, Nesiamun. Dich wird er nicht warten lassen. Je länger wir zögern, desto wahrscheinlicher findet der General meine Mutter. Falls du deine Bitte mit der möglichen Entführung deiner Tochter begründest, wird dich der Prinz auf der Stelle empfangen. Die städtische Polizei sucht noch immer nach ihr, nicht wahr?“ Nesiamun nickte. „Dann ist die Kunde von ihrem Verschwinden dem Prinzen gewißlich schon zu Ohren gekommen.“
„Du hast aber auch an alles gedacht, nicht wahr?“ gab Nesiamun zurück. „Hast du sie hier hergebracht, weil du mich nötigen willst?“
„Nein, Vater“, mischte sich Takhuru ein. „Das würde Kamen niemals tun. Wenn du uns nicht helfen willst, gehe ich selbst zu Ramses. Er ist der einzige, der die Macht hat, uns zu schützen.“ Nesiamun drehte sich um und blickte sie verdutzt an.
„Wie kannst du so mit mir reden“, rügte er sie. „Noch bist du nicht verheiratet.“ Darauf wandte er sich wieder an Men. „Wir sollten erst einmal mit Paiis und seinem Bruder sprechen und ihnen die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen, ehe wir sie im Palast anschwärzen“, sagte er, aber Takhuru krallte sich in seinen Arm.
„Nein!“ platzte sie heraus. „Vater, ich habe Angst. Du hast nicht wie ich so viel Zeit gehabt, über alles nachzudenken, sonst würdest du mich verstehen. Bin ich nicht ein vernünftiges Mädchen? Ist Kamen nicht ein wahrhaftiger und aufrechter Mann? Du wirst doch wohl nicht glauben, wir sind so leichtgläubig, daß wir uns von einer phantasievollen Geschichte hereinlegen lassen. Und dann ist da noch immer Kaha. Niemand stellt einen Schreiber ein, der im Verdacht steht, ein Lügner zu sein. Schick noch in dieser Stunde zu Ramses! Bitte!“ Er antwortete ihr nicht, sondern erhob sich.
„Ich will, daß du mit mir nach Hause kommst, Takhuru“, sagte er. „Ich werde das Ganze überdenken und dir morgen früh eine Antwort geben. Unsere Wachen sind durchaus in der Lage, dich zu schützen, falls du Schutz brauchst.“ Flink und geschmeidig schob sich Kamen zwischen sie.
„Takhuru bleibt entweder hier“, sagte er ruhig, „oder ich entführe sie wirklich. Sie hat recht. Du verstehst nicht, wie wehrlos wir alle sind. Meine Mutter ist irgendwo da draußen, schläft in einer Gasse oder auf dem Boden eines Bootes oder zusammengedrängt mit Bettlern in einer Toreinfahrt. Glaubst du, sie hat nach fast siebzehn Jahren ohne Grund
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