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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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und befand mich in ihren Privatgemächern. Ihre Leibdienerin verbeugte sich, und Takhuru befahl ihr, sich zu entfernen. Die Tür öffnete und schloß sich noch einmal.
    In der hinteren Wand war noch eine Tür, die Takhuru aufmachte. Dahinter kam ein kleiner Raum mit Truhen und Regalen, auf denen sich verschiedene Perücken, Rollen, Schmuck und gefaltete Wäsche stapelten. An der hinteren Wand erblickte ich eine enge Treppe, die ins Dunkel führte.
    „Wie jedermann schlafe auch ich im Sommer auf dem Dach“, sagte Takhuru. „Thu hat sich in den Dienstbotenquartieren aufgehalten. Zum Glück war sie heute morgen bei mir, als Paiis kam. Vater hat mich gerufen, damit ich seine Fragen beantworte. Er wollte wissen, ob man in den letzten Tagen neue Dienstboten eingestellt hat. Das habe ich verneint, doch leider hat der Haushofmeister die Frage in aller Unschuld bejaht. Kamen ist auch hier. Tagsüber hält er sich in der Stadt auf, nachts schleicht er sich an dem Türhüter vorbei.“ Ein kurzes Auflachen, dann errötete sie. „Ehrlich gesagt, Kaha, ich habe noch nie im Leben so viel Spaß gehabt. Hier oben sind die beiden einigermaßen sicher. Niemand darf meine Räume betreten, es sei denn, ich erlaube es.“
    „Das reicht nicht“, erwiderte ich. „Jeder gute Mörder kann Mauern hochklettern, die Treppe da benutzen und mit Leichtigkeit morden.“ Das Lächeln verging ihr. Sie beugte sich in das Zimmerchen und rief: „Kamen, komm bitte heraus.“
    Man hörte Schritte auf der Treppe, und dann trat Kamen aus dem Dunkel ins helle Tageslicht, das durch Takhurus Fenster fiel. Als er mich erblickte, blieb er jäh stehen. Sein Körper spannte sich zum Kampf. Sein Blick schoß zur Flügeltür. Doch ich beachtete ihn kaum. Hinter ihm war nämlich eine Frau im gelben Kleid der Hausdiener aufgetaucht, die ich erst nicht erkannte. In meiner Erinnerung gab es eine andere Thu, die mir ihr vollkommenes, ovales, glattes, geschminktes Gesicht entgegenhob, und ich faßte die Wirklichkeit nicht, denn diese Frau war dunkelbraun verbrannt, hatte schwielige, ungepflegte Hände und sehnige Füße, ein etwas zerknittertes Gesicht und drahtiges Haar. Doch die funkelnden blauen Augen waren noch dieselben, klar und zwingend, und der ungeschminkte Mund war noch weich und sinnlich. Ich hatte eine trockene Kehle. „Thu“, flüsterte ich.
    Sie kam auf mich zugeschritten und schlug mir mit der ganzen Kraft, die sie aufbringen konnte, ins Gesicht. „Kaha“, sagte sie zähneknirschend. „Ich hätte dich überall wiedererkannt, dich und die anderen. Eure Gesichter haben mich nachts heimgesucht und mich bei Tage verfolgt, und das siebzehn Jahre lang. Ich habe dir vertraut! Du bist mein geliebter Lehrer und mein Freund gewesen! Aber du hast gelogen und mich verlassen, und ich hasse dich und wünsche dir den Tod!“ Die aufgestaute Leidenschaft dieser verlorenen Jahre äußerte sich als Schwall bitterer Vorwürfe. Ihre Augen funkelten. Ihr Körper zitterte. Kamen legte den Arm um sie, doch sie schob ihn weg. „Ich will dich leiden sehen“, schrie sie. „Ich will, daß du erfährst, wie das ist ohne Freunde, verurteilt und aller Dinge beraubt!“ Mir tränten die Augen von der Ohrfeige, meine Wange brannte.
    „Es tut mir leid, Thu“, sagte ich. „Es tut mir ehrlich und aufrichtig leid.“
    „Leid!“ fuhr sie mich an. „Leid? Gibt Leid mir die verlorenen Jahre zurück? Zeigt mir Leid, wie mein Sohn aufgewachsen ist? Sei verflucht, du kleiner Schreiber, seid allesamt verflucht!“ Jetzt weinte sie, und ihre Tränen entsetzten mich mehr als ihre Wut. Dann kam sie zu mir und legte den Kopf an meine Brust. Meine Arme legten sich um sie. „Ich habe dich geliebt, Kaha“, sagte sie schluchzend. „Ich habe alles geglaubt, was du mir erzählt hast. Du bist mir in dem lieblosen Haus ein Bruder gewesen, und ich habe dir vertraut.“
    Darauf gab es nichts zu entgegnen. Die anderen standen wie angewurzelt, während sie um Fassung rang. Ihre Tränen rannen warm auf meine Haut, und gleich darauf war das Unwetter vorbei. Sie löste sich aus meinen Armen, blickte mich unter geschwollenen Lidern ruhig an und ergriff Kamens Hand. „Na schön“, sagte sie. „Vermutlich bist du mit Paiis gekommen, um mich abzuführen. Versuch es nur, ich wehre mich. Ich habe nichts mehr zu verlieren.“
    Kamen beobachtete mich sehr eingehend, und ich merkte, daß er einen Ledergürtel trug, in dem ein kurzes Armeeschwert steckte. Seine andere Hand ruhte auf dem Griff.

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