Die Herrin Thu
anderen.“ Dann lachte sie und war wieder die Thu, die ich gekannt hatte. „Willst du wenigstens versuchen, dem Pharao mein Manuskript zuzuspielen?“
„Dazu ist keine Zeit mehr!“ sagte Kamen ungeduldig. „Wir müssen uns ein anderes Versteck suchen, und das sofort. Du auch, Takhuru. Was machen wir nur mit dir? Wenn die Tochter eines so hohen Hauses verschwindet, geht ein Aufschrei von einem Ende Ägyptens bis zum anderen.“
„So schlimm kommt es schon nicht“, überlegte Takhuru. „Je heftiger der Aufschrei, desto schwieriger wird es für den General, uns still und leise zu erledigen. Schon jetzt läuft ihm die Situation aus dem Ruder. Zuerst plant er den säuberlichen Mord an zwei unbekannten Menschen fern vom Sitz der Macht. Doch das schlägt fehl. Die beiden Opfer befinden sich nun mitten in einer Stadt, die bei Tag und Nacht nur so vor Leben strotzt. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, muß er auch noch eine Dritte meucheln, die Tochter einer ungemein bedeutenden Familie, deren Verschwinden nicht ohne eine Untersuchung vom Palast abgeht. Vielleicht wirft er die Hände hoch und gibt den ganzen Plan auf.“ „Falls Hui davon wüßte, er würde den Mord an Takhuru verbieten“, sagte Thu. „Ich kenne ihn besser als alle hier, abgesehen von Kaha. Er ist kalt und berechnend, aber mutwillig grausam ist er nicht.“
Nachdenkliches Schweigen, und ich merkte, daß es im Zimmer angenehm mittäglich warm wurde und von unten immer wieder Geräusche der häuslichen Abläufe heraufklangen. Thus milde Spöttelei wurmte mich, und während ich meinen Wein trank, überlegte ich, was ich tun sollte. Ich hatte nichts weiter gedacht, als mein Gewissen zu erleichtern und sie und Kamen vor der Gefahr zu warnen, in der sie schwebten, doch das genügte nicht. Ich mußte mein altes
Ich vollkommen ablegen, mußte mich gegen Hui und alles, was er mir bedeutet hatte, stellen. Als mir das klar wurde, ging es mir durch und durch, doch ich sagte mir, daß Hui genau diese Abhängigkeit gefördert hatte. Der Wein in meinem Mund schmeckte wie geronnenes Blut, ich brachte ihn nur mit Mühe hinunter und stellte meinen Becher ab.
„Meiner Meinung nach“, sagte ich, „mußt du, Herrin Takhuru, ein paar Dinge packen und für ein Weilchen in Kamens Haus ziehen. Ich wollte gerade vorschlagen, daß ihr euch auf Mens Anwesen in Fayum versteckt, doch ich glaube, daß Kamen dich im Auge behalten und beschützen möchte.“ Kamen blickte bei diesen Worten etwas ungläubig und nickte kurz.
„Weiter, Kaha“, drängte er.
„Du und ich, Kamen, wir werden deinem Vater alles erzählen und ihn bitten, eine Audienz beim Prinzen zu erwirken. Es hat keinen Zweck, bis zum Pharao vorzudringen. Er ist krank, und die Regierungsgeschäfte werden größtenteils von seinem Erben wahrgenommen. Falls Men uns unsere Geschichte abnimmt, werden wir Nesiamun sagen, wo seine Tochter steckt und warum sie bei Kamen ist. Auch wenn der Prinz Men vielleicht eine Audienz verweigert, einen seiner einflußreichsten Edelmänner wird er nicht abweisen.“
„Und welchen Grund willst du dafür angeben, daß du den Prinzen belästigst?“ fragte Thu scharf, und ich lächelte.
„Die Entführung der Tochter des Oberaufsehers der Fayence-Werkstätten“, erwiderte ich. „Takhuru hat recht. Eine solche Tat würde das Eingreifen von Palastsoldaten nach sich ziehen.“ Ich wandte mich an Thu. „Du bist nirgendwo sicher“, sagte ich. „Das einzige Versteck für dich ist mitten im Trubel der Stadt. Kamen, kannst du Achebset vertrauen?“
„Ja, Kaha, aber die Richtung, in die du denkst, gefällt mir nicht“, sagte er. „Ich werde meine Mutter nicht den Unbilden eines Straßendaseins in Pi-Ramses aussetzen.“ Thu legte ihm die Hand auf die Wange und streichelte ihn sanft.
„Gefühle können wir uns im Augenblick nicht leisten“, ermahnte sie ihn. „Mach keinen Fehler, Kamen, und sei meinetwegen rührselig. Schließlich habe ich den gefährlichen Irrgarten des Harems überlebt. Für mich stellen die Gassen von Pi-Ramses keine große Gefahr dar.“ Unsere Blicke trafen sich, und in diesem Augenblick wurde die Beziehung, die uns all die Jahre verbunden hatte, neu geboren: Zuneigung und gegenseitige Achtung, die älter waren als alles andere in diesem Raum. Wir hatten unsere eigene Geschichte. „Du möchtest mich in die Stadt schicken und Kamens Freund als Mittelsmann benutzen“, meinte sie. „Gut, Kaha. Sehr gut. Ich habe noch nie Gelegenheit gehabt, mir
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