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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Wand aus Schnee erkenne ich in der Ferne zwei bleiche Gestalten. Hoch
ragen sie in den Himmel und säumen meinen Weg. Mein Blick verweilt auf der rechten.
Die Figur wirkt, als hätte sie zwei Gesichter. Das engelsgleiche, mit dem sie auf
mich herabsieht, und eine hässliche Fratze, welche nur Augen für die Gestalt auf
der anderen Seite des Weges zu haben scheint. Diese Erscheinung ist dicker, rundlicher.
Ihr Gesicht ist von Sorgen zerfressen und sie stellt sich trotzig der anderen Figur
entgegen. Sie schreien sich an, poltern, lärmen, doch kein Laut dringt an meine
Ohren. Langsam senkt sich mein Blick auf den Weg. Wieder und wieder peitscht mir
der weiße Schnee unbarmherzig ins Gesicht und frisst sich tief in mich hinein. Mit
jeder Sekunde, die ich an diesem Ort verbringe, gefriert mein Blut weiter. Mein
Herz schreit mich an, dass es aufhören will zu schlagen. Ich habe das Gefühl, dass
Eis anstatt Blut durch meine Adern strömt. Die klirrende Kälte gräbt sich tief in
meinen Kopf und erstickt jeden Gedanken an das Schöne. Und trotzdem zieht es mich
weiter auf diesem frostigen Weg, der mit jedem Schritt kälter zu werden scheint.
    Dann werden meine Augen schwerer und ich spüre,
wie splitternde, raue Schneeflocken sich auf meine Lider legen. Sie wirken unendlich
schwer und befehlen mir, stehen zu bleiben. In dem gnadenlosen Wind erkenne ich
auf einmal einen Duft, der mich sofort hochblicken lässt. Als ich meine Augen öffne
und meinen Blick schärfe, erkenne ich eine Weggabelung, die sich durch die weiße
Hölle schlängelt. Zu meiner Linken schlägt mir der Duft von Rosen entgegen. Anstelle
der schneebedeckten, eisigen Landschaft ist dieser Weg grün und warm, frei von Frost
und Eis. Rosen blühen am Wegesrand und locken mit ihren grünen Blättern und einem
wohligen Geruch. Die Blüten strecken sich mir entgegen und scheinen mich zu rufen.
Laut und eindringlich locken ihre Worte mich. Wunderschön und einladend verzaubert
mich ihr Anblick. Wärme umfängt mich von meiner Linken, die meinem Körper mit einem
Mal jeglichen Schmerz und jegliche Kälte zu entziehen scheint. Ich kann meine Hände
wieder spüren, und auch das Weiß meiner Füße wandelt sich augenblicklich in ein
rosiges Purpur.
    Nur schwer kann ich meinen
Blick von dieser Pracht nehmen, um meine Augen auf den rechten Weg zu lenken. Unbewusst
mache ich ein paar Schritte auf ihn zu und atme einen Duft tief ein, der mein Herz
für einen Moment aussetzen lässt. Dieser Weg ist nicht frei von Eis und Schnee und
doch übt er auf mich eine nicht gekannte Faszination aus, der ich mich nicht zu
entziehen vermag. Vereinzelte Lavendelsträucher säumen den Wegesrand und ragen trotzig
aus dem Schnee hervor. Die Zweige der Sträucher sind mit grünen und lila Blüten
gespickt, nur einzelne Farbtupfer in einem sonst von Weiß dominierten Bild. Scheu
rekeln sie sich der Sonne entgegen, immer darauf bedacht, nicht zu viel Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen. Nein, einladend ist dieser Pfad bestimmt nicht, und doch zieht
es mich unmerklich und stetig auf diesen Weg. Als ein weiterer Hauch des Lavendelduftes
mich zärtlich berührt, ist meine Entscheidung gefallen.

Kapitel 5
     
    - Dankbarkeit -
     
    Der nächste Tag begann wie ein Donnerschlag.
Unnachgiebig polterte des Vaters Pranke gegen die Holztür und riss die Brüder aus
ihrem Schlaf.
    »Aufwachen, Burschen! Heute gibt es viel zu tun!«, drang es grollend
durch das Zimmer. Lorenz war dankbar, dass sein älterer Bruder allem Anschein nach
genauso schlaftrunken die Routine des Morgens erledigte. So ersparten sie sich eine
unangenehme Unterhaltung und beschränkten sich auf das Wesentliche: waschen und
essen.
    Generell war die Stimmung am Frühstückstisch der Familie bedrückt,
fast traurig, obwohl die Mutter versuchte, den Tag so alltäglich wie möglich zu
gestalten. Selbst die Kleinen spürten, dass nichts an diesem Morgen normal war.
Immer wieder blickten sie zu ihrem Vater hinüber, in der Hoffnung, sie würden eine
Reaktion, nur den Hauch einer Antwort auf ihre vielen unausgesprochenen Fragen erhalten.
Schließlich waren die Tumulte des gestrigen Abends an ihnen nicht spurlos vorübergegangen.
Doch Josef kaute stur sein Brot, den Blick starr auf den Tisch gerichtet. Erst als
die letzte Scheibe heruntergeschlungen war, sah er seine beiden Ältesten an.
    »Heute in der Früh habe ich eine Nachricht vom Hauptmann der Stadtwache
erhalten. Er bittet mich zu sich, um über die Herstellung von Rüstteilen zu

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