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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wieder das Gewand einer Jungmagierin und hatte sich den Mantel lose um die Schultern geworfen. Sie war bereit. Wenn es nach ihr ginge, konnten sie sofort losreiten.
    Die jungen Ritter regten sich voll Unbehagen. »Ihr wisst, dass wir an einen Eid gebunden sind und Constantin Gehorsam schulden. Das ist Euch bekannt, nicht wahr?«, fragte ein riesiger blonder Mann. Niall hatte Schultern wie ein Schmied und ein gutmütiges Lächeln, das im Augenblick jedoch Sorgenfalten gewichen war.
    »Ich dachte mir etwas in der Art.« Fröstelnd drängte Ravenna sich in eine Nische, die im Windschatten lag. Der Sturm heulte um den Turm und die einzelnen Regentropfen trafen sie wie Peitschenhiebe. Das Wetter hatte umgeschlagen, das milde Frühjahr war vorbei. »Aber je länger wir beraten, umso mehr Zeit verlieren wir. Zeit, die Melisende und der Junge nicht mehr haben. Bis Sonnenaufgang sind es nur noch wenige Stunden. Ich verstehe nicht, weshalb der König so lange zögert.«
    »Weil er weiß, dass er uns alle in Gefahr bringt, wenn er die falsche Entscheidung fällt«, erklärte Lucian. »Seit vielen Jahren ringen die Burgen Landsberg und Hœnkungsberg um die Vorherrschaft in diesem Landstrich. Ein Zwist mit den Stadtherren käme Beliar sehr gelegen.«
    »Politik.« Angewidert stieß Ravenna dieses Wort hervor. »Es geht um Politik? Deswegen riskiert ihr Melisendes Leben? Manche Dinge ändern sich doch nie.«
    Lucians Freunde tauschten bedeutsame Blicke untereinander, aus denen Ravenna eine Spur von Bedauern für ihren Gefährten las. Die Wut staute sich noch weiter in ihr auf.
    »Constantins Stand als König ist keineswegs so fest und sicher, wie Ihr vielleicht glaubt«, erwiderte Lucian. Er blieb geduldig und freundlich, obwohl er ihren Zorn zweifellos bemerkte. »Besonders in den letzten Jahren hat er viel Macht eingebüßt. Ihr habt keine Ahnung, wie kompliziert die Bündnisse sind, die er eingehen muss, um die Sieben zu schützen. Da sind die einflussreichen Eltern der Mädchen, die Grafen im Süden und im Westen und die Patrizier, die wiederum untereinander zerstritten sind. Wer heute ein Freund zu sein scheint, fällt uns morgen vielleicht schon in den Rücken.«
    »Sag ich doch«, murmelte Ravenna. »Diplomatie ist immer ein schmutziges Geschäft. Ich verlange auch nicht viel – nur dass ihr mich in die Stadt begleitet. Wenn ich vor dem Hohen Rat spreche …«
    »… wird man Euch dran erinnern, dass Ihr durch ein Zeittor gekommen seid, nachdem die Sieben auf dem Hexenberg eine Beschwörung abgehalten haben. Mit Verlaub, ich glaube kaum, dass Ihr eine gute Gewährsperson seid, wenn es darum geht, Melisende vom Verdacht der Zauberei freizusprechen.« Ein anderer von Lucians Freunden hatte gesprochen, ein Ritter namens Vernon.
    Ravenna kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. »Richtig, du hast vollkommen Recht. Ich bin nicht besonders glaubwürdig. Bestimmt hatte Lynette auch nichts Besseres zu tun, als mich überall anzuschwärzen und in der Stadt herumzuerzählen, was für eine unvorstellbar grässliche Hexe ich bin. Es muss einen anderen Weg geben! Es muss einfach!«
    Mit den Fäusten trommelte sie auf die Brüstung und dachte nach. Vom Festplatz drangen noch immer Flötenspiel, Fidelklänge und lautes Singen zu ihnen herauf. Fackeln und ein großes Feuer erhellten die Bankreihen, auf denen die Feiernden saßen. Der Wind und der beginnende Regen schienen die fröhlichen Zecher nicht zu stören.
    »Ravenna.«
    Als sie sich umdrehte, stand Lucian direkt vor ihr. Auch er trug wieder die gewohnte Kleidung: Stiefel, ein mehrlagiges Untergewand, das verhinderte, das ihm der Kettenpanzer die Haut aufscheuerte, und einen breiten Gürtel. Die geprellte Schulter bewegte er nur vorsichtig. Er gefällt mir – diesen Gedanken konnte Ravenna trotz der Angst, die sie gerade hatte, noch fassen.
    »Uns allen ist klar, dass Ihr Euch große Sorgen macht. Aber Ihr müsst Euch beruhigen. Constantin wird Eure Warnung sehr genau abwägen, glaubt mir.«
    Mit den Handballen stützte sich Ravenna auf die kalte Mauer. »Du bist jetzt mein Geweihter Gefährte, richtig? Dann befehle ich es dir. Ich befehle dir, mit mir in die Stadt zu reiten und Melisende zu befreien. Wir reiten jetzt los. Sofort.«
    Sie erschrak, als sie die Enttäuschung sah, die sich in Lucians Gesicht zeigte. »Das könnt Ihr verlangen, gewiss. Und ich muss Eurem Befehl gehorchen, denn das verlangt das Gesetz meines Ordens. Aber ist das auch klug? Ist es wirklich das, was Ihr

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