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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Streit über ein neues Gesetz zur Besteuerung von Großkonzernen. In Paris hatten Randalierer mehrere Autos angezündet und im Rhein war eine junge Frau ertrunken. Ihre Leiche war bei Kehl ans Ufer gespült worden. Als Ravenna den Mittelteil aufschlug, blickte sie in ihr eigenes Gesicht. Sie erschrak so sehr, dass sie weiterblätterte und es erst nach mehreren tiefen Atemzügen wagte, die entsprechende Seite wieder aufzufalten. »Entführungsfall am Oberrhein?«, lautete die Schlagzeile. »Von Ravenna D. (24) fehlt noch immer jede Spur.« Der Artikel war eine halbe Seite lang und mit Fotos und einem verzweifelten Appell ihrer Eltern versehen.
    Verdammt, wie komme ich denn in die Zeitung?, dachte sie. Sie griff sofort zum Telefon und drückte auf die Tasten, bis sie auf dem Display die Nummer ihrer Eltern las, aber dann zögerte sie. Nach so viel Aufregung – war da ein so überraschender Anruf wirklich gut? Wie würden sich ihre Eltern fühlen, wenn sie sich plötzlich wie ein Geist am anderen Ende der Leitung meldete?
    Stattdessen wählte sie die Nummer von Yvonnes Mobiltelefon. Es klingelte, aber ihre Schwester antwortete nicht, auch die Mailbox war ausgeschaltet. Ungehalten warf Ravenna das Telefon auf den Tisch. Sie stand auf und ging zu Yvonnes Zimmer. Die Tür war abgeschlossen.
    Seltsam, dachte Ravenna. Das macht sie doch sonst nie. Sie kehrte in ihr eigenes Schlafzimmer zurück und holte eine frische Jeans aus dem Schrank. Lucian hatte sich zur Seite gedreht und schlief zusammengerollt wie ein kleiner Junge. Wie soll ich ihm bloß klarmachen, was passiert ist?, überlegte sie, während sie ihn betrachtete. Und wie soll ich den anderen erklären, wo er plötzlich herkommt?
    Nach der Dusche meldete sich wieder ihr Hunger. Wenigstens war der Kühlschrank aufgefüllt, stellte Ravenna fest. Yvonne wollte also nicht lange fortbleiben. Sie deckte den Tisch für drei, schnitt Brot und Tomaten auf, mischte Salat mit Schafskäse und Oliven und schob ein Blech mit Kartoffelscheiben in den Ofen. Erst dann merkte sie, dass sie in den verkohlten Fleck auf ihrem Küchenboden getreten war, in den Bannkreis, den der Einbrecher gezogen hatte. Seit dem Überfall hatte sie diese Stelle gemieden, denn es war das Tor zu einer Hölle, die sich nur in ihren Gedanken auftat. Sie starrte auf den verfluchten Fleck. Die Spuren ergaben ein verzerrtes Muster, das perverse Spiegelbild eines Hexensiegels. Langsam atmete sie aus. Dann zuckte sie die Schultern und ließ Wasser in die Karaffe laufen. Es kümmerte sie nicht länger, was der Eindringling mit Feuer und glühendem Metall auf die Dielen geschrieben hatte. Etwas hatte sich verändert, seit sie aus Lucians Zeit zurückgekehrt war, der Fluch hatte seine Wirkung verloren. Sie hatte sich verändert. Sie fühlte sich stark und ausgeglichen – ganz anders als vor ihrem Sturz durch das Zeittor.
    Als die Kartoffeln zu duften begannen, hörte sie den Schlüssel im Schloss. Yvonne betrat den Flur. Dann bemerkte sie das Licht in der Küche und starrte ihre Schwester an wie ein Gespenst. Und Ravenna starrte nicht minder.
    Yvonne hingen die Haare wirr herab. Sie sah aus, als wäre sie in einen heftigen Regenguss geraten und hätte sich seitdem weder gewaschen noch gekämmt. Zu Ravennas Überraschung trug sie das gelbe Kleid mit den Blumen, aber es war zerknittert und verschwitzt. Über dem Knie klebte ein undefinierbares, schwarzes Zeug, das wie Schmieröl aussah. An einer ihrer Sandalen war ein Riemen gerissen und ihre Fußknöchel und beiden Hände waren zerkratzt.
    Ohne ein Wort zu verlieren, stürzte Yvonne ins Bad, knallte die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Durch die Tür hörte Ravenna hemmungsloses Schluchzen.
    »Yvonne! Yvonne! Mach sofort auf!« Sie hämmerte gegen die Tür. Panik erfüllte sie. Es war nicht allzu lange her, da war sie selbst in einem ähnlichen Zustand ins Bad getaumelt, aufgewühlt, verängstigt und verstört.
    »Yvonne!«
    »Was ist denn los?« Sie schrak herum, als sie Lucians Stimme hörte. Er stand im Flur, nackt bis auf das Laken, das er sich um die Hüfte gewickelt hatte, und sah völlig zerzaust und verschlafen aus.
    »Meine Schwester. Sie ist da drin.« Wieder klopfte Ravenna gegen die Tür. »Yvonne, bitte mach auf und lass uns reden.«
    Bei dem Wort Schwester schien Lucian endlich aufzugehen, in welcher Umgebung er sich befand. Seine Augen weiteten sich, als er sich umschaute. »Was ist passiert?«, flüsterte er. »Wo sind wir?

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