Die Hexen - Roman
niemals hier gelandet und hätten die Wahrheit nicht erfahren. Ich werde Euch zu dem Treffen mit Beliar begleiten, selbst wenn es inmitten der Hölle stattfinden sollte. Und anschließend werde ich Euch helfen, das Siegel zurück auf den Berg der Sieben zu bringen. Vielleicht werden uns bald wieder siebenhundert Jahre trennen, ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen. Doch ich werde Euch bis zum letzten Atemzug dankbar sein.« Mit diesen Worten erhob er sich und stapfte aus der Küche.
»Ganz schön theatralisch, dein Ritter«, ließ Yvonne aus ihrer Ecke vernehmen.
Wütend funkelte Ravenna sie an. »Die Wahrheit würde ich allerdings auch gerne erfahren! Was hast du während des Gewitters gemacht? Hast du die Blitze angezogen? Ein bisschen Wettermagie betrieben? Das war Schadenszauber, würden die Sieben sagen! Und warum heulst du jetzt ständig, wo du die Handschriften doch selbst in Brand gesteckt hast!«
Yvonnes Kinn zitterte. »Das war ich nicht. Wie oft soll ich es noch sagen: Ich kann mich an nichts erinnern.«
Ravenna schnaufte verärgert auf, während sie einen Spiegel vom improvisierten Hexenaltar am Fenster nahm und ihn Yvonne vors Gesicht hielt. »Schau dich an!«, verlangte sie. »Schau in deine Augen und sag mir, was du da siehst!«
Hastig drehte Yvonne den Kopf zur Seite, doch sie konnte nicht verhindern, dass ein roter Lichtschein auf dem Glas blitzte und als Irrlicht durch die Küche wanderte. Donner grollte über dem Fluss. Sie bedeckte die Augen mit der Hand.
»Verdammt nochmal«, sagte Ravenna leise. »Du hättest uns beinahe umgebracht. Ich erkenne schwarze Magie, wenn ich sie sehe. Dazu muss ich nicht mal eine Hexe sein. Meinst du nicht, du wärst mir eine Erklärung schuldig? Was lernt man in dem Wicca-Zirkel, dem du angehörst? Etwa, wie man Gebäude in die Luft jagt?«
Unter Yvonnes vorgehaltenen Fingern strömten Tränen hervor und rannen ihr über Wangen und Kinn, doch ihr Gesicht blieb unbewegt. »Du hast ja keine Ahnung!«, stieß sie hervor.
»Dann klär mich auf.«
Yvonne sprang auf und begann, unruhig in der Küche umherzugehen. »Lucian hat Recht«, stieß sie hervor. »Ihr dürft nicht in die Villa eindringen. Das ist viel zu gefährlich.«
Ravenna zuckte die Achseln. »Was weißt du schon«, brummte sie. »Du kennst Beliar doch gar nicht.« Mit raschen Griffen räumte sie den Altar ab, wählte jene Gegenstände aus, die sie in der Praxis benötigen würde, wickelte sie in Küchenpapier und packte sie in eine Umhängetasche. »Und es beantwortet meine Frage noch nicht. Was ist wirklich in der Bibliothek geschehen? Und gestern Abend?«, fuhr sie fort, als Yvonne es vorzog zu schweigen. »Woher bist du da gekommen, so verstört und verdreckt? Das hängt doch alles irgendwie zusammen.«
»Und wenn ich dir sage, dass ich Beliar doch kenne?« Plötzlich stand Yvonne unmittelbar hinter ihr. Vor Schreck ließ Ravenna beinahe die Messingschale fallen. »Was soll das heißen? Wie soll das möglich sein?«
Yvonne musterte sie aus nächster Nähe, ihr Gesicht war blass. Das rote Glühen hatte sich in den Augenhintergrund zurückgezogen, ob durch magische Willenskraft, oder weil ihre Schwester sich allmählich beruhigte, konnte Ravenna nicht feststellen. »Ich war in der Praxis. Einmal. Ich wollte Corbeau zur Rede stellen, weil er … was ist?«
Ravenna starrte ihre Schwester mit offenem Mund an. »Du warst dort? In der Villa? Wie kommst du bloß auf so eine Idee?«
Yvonne seufzte gereizt. »Was glaubst du wohl? Ich dachte, Corbeau könnte mir einen Hinweis geben, irgendetwas, das du ihm während der Sitzungen mitgeteilt hast. Nun guck mich doch nicht so an! Ich war besorgt, wie alle anderen auch.«
Schweigend stopfte Ravenna die restlichen Gegenstände in die Tasche. »Und? Wie war er so?«, fragte sie, als sie fertig war. »Mein Therapeut?«
»Er ist verrückt«, erklärte Yvonne im Brustton der Überzeugung. »Vollkommen irre. Und gefährlich. Als ich die Praxis verließ, schwor ich mir, dich vor ihm zu warnen. Das ist die Wahrheit, Ravenna. Aber er hat mir einen Hinweis auf das Mittelalter gegeben.«
Ravenna sog den Atem ein. »Wie?«
Diesmal zögerte Yvonne. Sie schlug die Augen nieder und wich Ravennas Blick aus. »Durch ein Tor«, sagte sie schließlich. »Da war ein Nebenraum mit einem Steinkreis. Als ich ihn betrat, wurde ich in eine andere Wirklichkeit gezogen. In Lucians Zeit.«
»Verdammt!« Ravenna warf den Stoffbeutel auf den Tisch. Ein geheimes Tor in Beliars Villa,
Weitere Kostenlose Bücher