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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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beherrschen.«
    Beherrsche dich, sonst verzehrt dich die Magie! Yvonne musste lächeln, als ihr die Warnung in den Ohren klang. Ihre jüngsten Erfahrungen waren anderer Natur. Auf dem nächtlichen Fluss hatte sie erfahren, wie es sich anfühlte, wenn man jegliche Fesseln abstreifte und sich ungehemmt dem Strom der Magie überließ. Das Erlebnis hatte sie tief beeindruckt. Bei aller Furcht und Verstörung über Orianas Ende war ein Hunger zurückgeblieben, das Verlangen danach, noch einmal wie ein Funke durch die Nacht zu fliegen und alles tun zu können, was die Kraft der Gedanken ermöglichte.
    Das Telefon klingelte erneut. Das Auftragsbuch war für den ganzen Monat voll. Während Yvonne die Anzahl der Gäste und die Uhrzeit notierte, beschloss sie, mit ihren Eltern zu sprechen und sie zu überreden, das Gasthaus wieder zu eröffnen. Ravenna würde es ganz bestimmt nicht gefallen, wenn sie wüsste, dass das Leben auf dem Hof ihretwegen stillstand. Dann zog sie die Handschuhe aus und stieg in den ersten Stock hinauf.
    Das Zimmer ihrer Großmutter lag am Ende des Gangs. Die Tür war unverschlossen. Nichts hatte sich seit Mémés Tod verändert: Die Kommode stand unter der Dachschräge. Darauf befanden sich das Schmuckkästchen und ein kleiner Spiegel. Auf dem Schreibtisch vor dem Fenster lag ein aufgeschlagenes Notizbuch.
    Mémés Jahrbücher, dachte Yvonne und ließ ihre Fingerspitzen über die Seiten wandern. Von ihrer Großmutter hatte sie die Angewohnheit übernommen, jede noch so kleine Begebenheit schriftlich festzuhalten. Mémé hatte immer Tinte benutzt, die Buchstaben reihten sich wie kleine, blaue Soldaten auf dem Papier. Yvonne runzelte die Stirn und blickte aus dem Fenster. Von hier oben sah man den Garten, die Obstwiesen und Stallungen. Dunst hing über dem Fluss.
    Seufzend nahm sie das Notizbuch an sich, zog die Schubladen auf und suchte alle Unterlagen heraus, die sie finden konnte. In den Jahrbüchern hatte ihre Großmutter jedes ungewöhnliche Ereignis eingetragen, das auf dem Hof geschehen war, Jahr für Jahr und Monat für Monat. Yvonne hatte Lucian mit keiner Silbe eingeweiht, doch sie wusste, dass die Antwort auf ihre Schwierigkeiten hier zu finden war, auf dem Stück Land am Fuß der Berge. Denn sie suchte nicht nur nach Beweisen, die Beliar überführten – sie suchte nach einem Zeittor.
    Sie nahm den Stapel Jahrbücher auf den Arm. Als sie über die knarrenden Dielen im Flur schritt, stellte sie fest, dass die Tür zu Lucians Zimmer nur angelehnt war. Er hatte geduscht und sich umgezogen. Jetzt lag er auf dem Bett und schlief.
    Sie blieb im Türrahmen stehen und betrachtete Ravennas Ritter. Er gefiel ihr, er hatte ihr von dem Augenblick an gefallen, da er in der Dachwohnung über der Ill aufgetaucht war. Lucian hatte etwas Verträumtes an sich, etwas Sanftes bei aller kriegerischen Entschlossenheit, die er an den Tag legte. Selbst wenn er wütend auf sie war, hatte sie das Gefühl, er würde niemals zulassen, dass ihr etwas Schlimmes zustieß. Sie hatte noch nie einen Mann wie ihn kennengelernt. Die meisten ihrer Freunde waren derart von sich eingenommen, dass ihnen gar nicht in den Sinn kam, andere Menschen könnten ebenfalls Meinungen oder Bedürfnisse haben. Oder sie waren wie dieser Damian auf dem Boot: voller Leidenschaft und unterdrückter Begierde. Lucian dagegen verhielt sich vollkommen selbstlos. Die Art und Weise, wie er unter der Brücke auf Ravennas Rückkehr gewartet hatte und noch immer warten würde, wenn sie nicht eingegriffen hätte, rührte sie.
    Sie seufzte. Sie war tatsächlich eifersüchtig auf ihre große Schwester. Ravenna schien einfach immer Glück zu haben, ganz gleich, ob es um Magie oder um Männer ging. Als sie die Tür leise zuziehen wollte, fuhr Lucian aus dem Halbschlaf auf und griff nach dem Schwert. Im nächsten Augenblick verzog er das Gesicht, ließ die Waffe fallen und fasste an seine Schulter.
    »Alles in Ordnung?« Yvonne stieß die Tür auf.
    Der Ritter warf ihr einen unglücklichen Blick zu. »Ich fürchte, Ihr müsst mir einen Gefallen tun«, murmelte er. »In der linken Schulter sticht etwas und der Rücken tut mir weh.«
    »Du willst dir von deiner Gefangenen helfen lassen?«, bemerkte Yvonne spitz, doch als sie seinen Gesichtsausdruck sah, schluckte sie den Rest ihrer Bemerkung hinunter. »Na schön. Warte hier, ich komme gleich wieder.«
    Sie holte das Täschchen mit dem Verbandszeug und kehrte ins Gästezimmer zurück. Lucian lehnte am Fenster und

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