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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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betrachtete die Bergkette, die sich jenseits der Felder erhob. Der Odilienberg ragte wie ein mächtiger, bewaldeter Buckel auf. Auf dem Gipfel waren die Dächer und Türme des Klosters zu sehen.
    »Es scheint so nah«, seufzte er. »Als könnte man einfach hinaufreiten und wäre wieder zu Hause. Aber so einfach geht es nicht, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Yvonne. »So einfach geht es nicht. Und wenn du noch länger gezögert hättest, ginge es gar nie mehr. Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt, dass du verletzt bist?«
    Lucians Schulter hatte sich entzündet. In den Schnittwunden steckten Glassplitter, die Yvonne mit der Pinzette herauszog, ehe sie die eitrigen Stellen spülte. Beim Anblick der Brandwunde, die sich wie der Abdruck eines Schuppenschwanzes über Lucians Oberarm zog, war ihr erster Gedanke, sofort den Arzt zu rufen. Mit dem nächsten Herzschlag verwarf sie die Idee wieder: Wie hätte sie erklären können, woher die Verletzung stammte?
    »Die Glastreppe in der Villa war mit einem Bann belegt«, murmelte Lucian. »Sie gibt nach, sobald ein ungebetener Gast den Fuß auf die Stufe setzt. Wenn der Marquis den Spruch erneuert, fügen sich die Splitter genauso schnell wieder zusammen. Das hätte ich mir eigentlich denken können, aber in der Hitze des Kampfes …« Er zuckte mit den Achseln. Offenbar schmerzte ihn die unbedachte Bewegung, denn er sog zischend Luft ein und ließ den Kopf hängen.
    »Achtung jetzt. Das ist Jod. Es brennt«, warnte Yvonne, ehe sie die Stellen mit einem Wattebausch abtupfte. Lucian sagte nichts mehr, er ertrug die Behandlung mit geschlossenen Augen. Das braune Haar fiel ihm in den Nacken. Yvonne wusste nicht, was plötzlich in sie fuhr, aber aus einer Laune heraus straffte sie eine der Strähnen und trennte die Locke mit der Wundschere ab. Hastig wickelte sie das Haar auf und schob es in die Hosentasche. Lucian merkte nichts davon, der Schmerz seiner Wunden hatte ihn fest im Griff.
    »Fertig. Das war’s. Morgen erneuern wir den Verband und hoffen, dass alles abheilt.« Yvonne saß auf dem Bett und sah zu, wie er sich mit steifen Bewegungen anzog.
    »Ihr habt die Hände einer Heilerin«, meinte er. »Darin seid Ihr Ravenna ähnlich.«
    Yvonne brachte ein schiefes Lächeln zustande. »War das jetzt ein Dankeschön? Soll das heißen, wir sind miteinander versöhnt?«
    Im Stehen blickte Ravennas Ritter auf sie herab. »Nein, das heißt es nicht. Ich werde Euren Fall ganz sicher vor Constantin und die Hexen bringen, schon um Eurer Selbst willen. Manchmal tut Beliar Dinge, deren Folgen wir erst sehr viel später erkennen. Es ist notwendig, dass Ihr Euch den Fragen der Sieben stellt.«
    »Sie werden schnell merken, dass ich die Gabe besitze«, erwiderte Yvonne. »Ich verfüge über bestimmte Kräfte, genau wie Ravenna. Du wirst schon sehen: Sobald mich die Sieben besser kennen, werden sie mich in ihren Zirkel aufnehmen.«
    Lucian lachte, doch es klang nicht unfreundlich. »Nun, das glaube ich kaum. Zumindest würde es nicht so schnell geschehen. Ihr müsstet die Siegelmagie erlernen und Euch zahlreichen Prüfungen unterziehen. Eine Hexe wird man nicht von heute auf morgen. Es ist ein langer Weg.«
    Yvonne verschränkte die Arme. »Gibt es einen besseren Schutz vor Beliar als das Wissen mächtiger, weißer Magierinnen? Wenn du dir wirklich Sorgen um mich machst, solltest du mich eigentlich unterstützen.«
    »Ihr müsst Geduld haben«, riet Lucian. »Ausdauer ist die erste Lektion, das haben auch meine Lehrer zu mir gesagt.« Yvonne spürte, wie der alte Ärger in ihr emporkroch. Weshalb wurde sie immer wieder zurechtgewiesen, während Ravenna alles in den Schoß fiel? Als ob ein Makel an mir klebt, dachte sie. »Ich habe sämtliches Wissen über Magie studiert, das in meiner Zeit zu finden ist. Was ist falsch daran?«
    Lucian lächelte, während er die letzten Knöpfe schloss. »Gar nichts«, sagte er. »Es ist nur nicht genug.« Er sah zu, wie Yvonne Schere, Mullbinden und Pflaster vom Bett sammelte. »Versteht mich nicht falsch, aber nicht jede Anwärterin ist für die Ausbildung im Konvent geeignet. Selbst von den begabtesten Schülerinnen werden nicht alle in den Zirkel der Sieben aufgenommen. Über Magie zu gebieten ist ein Privileg.«
    Yvonne hob den Blick. »Soll das heißen, du hältst mich nicht für gut genug?«
    »Es steht mir nicht zu, Eure Gabe zu beurteilen«, erklärte Lucian. »Aber ich fürchte, Ihr stellt Euch die Angelegenheit leichter vor, als sie ist.« Er

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