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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schwester und ich an genau dieser Stelle, und Ravenna weihte mein Schwert. Heute lebt Eure Familie an diesem Ort. Was für ein seltsamer Zufall.«
    »Das ist bestimmt kein Zufall«, murmelte Yvonne. »Das ist Magie.« Sie streifte die Schuhe ab und stellte sich mit bloßen Füßen auf den Felsen. Er war nicht kalt, wie sie erwartet hatte, sondern warm. Eine Ecke ragte unter der Wand des Stalles hindurch auf die Weide. Sie spürte den Fluss der Magie sofort. Ihr Haar begann zu knistern und ein Kribbeln lief ihre Glieder entlang. Zweifellos – Lucian hatte die magische Stelle gefunden, ohne dass sie auch nur einen Blick in Mémes Jahrbücher geworfen hatte.
    Langsam drehte sie sich zu ihm um und strich sich wie beiläufig über das rote Haarband, das sie trug. Mit der anderen Hand berührte sie das Medaillon. Beachte mich!, befahl sie.
    Die Aufmerksamkeit des Ritters blieb auf den Boden gerichtet. »Es war vorherbestimmt, dass Eure Schwester und ich uns eines Tages begegnen«, murmelte er. »Nichts geschieht aus Willkür oder Zufall. Mit diesen Worten versuchte Malaury mich zu trösten, nachdem wir Maeve verloren hatten, und …«
    »Malaury? Wer ist Malaury?«, warf Yvonne ein. »Und wer bitteschön ist Maeve?«
    Lucian hob den Kopf. Er starrte sie mit demselben Ausdruck an, den sie schon wahrgenommen hatte, als sie ihn unter der Brücke fand: gedankenverloren und verlassen, als befände er sich an einem Ort ohne Wiederkehr.
    »Malaury ist Viviales Gefährte«, stieß er endlich hervor. »Er ist der Älteste in Constantins Runde und ein guter Freund. Leider ist er schwer erkrankt und wird den Winter wohl nicht mehr erleben, doch als er in meinem Alter war, tanzte er in den Mittsommernächten wie ein Derwisch. So sagt man jedenfalls.« Allmählich schien ihn etwas an ihrer Erscheinung zu verwirren. Er versuchte, wegzusehen, doch seine Augen wurden immer wieder von ihrer Gestalt angezogen.
    »Eure Haare«, stieß er endlich hervor. »Ihr tragt Eure Haare anders als sonst.«
    Yvonne lächelte. »Gefällt es dir?« Sie wickelte eine Locke auf den Finger, zog sie straff und ließ das Haar wieder nach oben schnellen.
    »Ja. Ja, es ist …« Lucian sprach nicht weiter. Er wandte sich von ihr ab und starrte auf die Kühe, die sich draußen auf der Weide tummelten. Yvonne schob sich zwischen ihn und den Anblick der grasenden Herde.
    »Es ist bestimmt nicht leicht zu wissen, dass all diese Menschen längst zu Staub geworden sind«, sagte sie. »Gestorben vor mehr als siebenhundert Jahren. Und du bist als Einziger noch am Leben.«
    Lucian schaute ihr tief in die Augen. »Warum tut Ihr mir das an?«, murmelte er. »Ich wurde als Gefährte Eurer Schwester ausersehen.«
    Yvonne lachte glockenhell und legte Lucian die Hände auf die Schultern. »Du wurdest zu Ravennas Begleiter bestimmt?«, wiederholte sie. »Das klingt ja schrecklich. Ich dachte, du hättest dich in sie verliebt.«
    »Ich liebe sie auch«, stieß er hervor. »Von ganzem Herzen. Doch magische Gefolgschaft ist mehr als das.« Während sein Mund diese Worte sagte, verschlang er sie mit Blicken. Als sie sich an ihn schmiegte, wollte er zurückweichen, doch er stieß mit dem Rücken gegen die Stalltür. Sein Blick heftete sich auf das Amulett, das sie zwischen den Fingern tanzen ließ. Er wehrte sich nicht, als sie die Hand hob und seine Lippen mit den Fingern streifte.
    »Magische Gefolgschaft, mh?«, lächelte sie.
    Lucian lehnte den Kopf gegen das raue Holz der Tür. »Yvonne. Yvonne«, stöhnte er. »Ich glaube, Ihr seid wirklich eine Hexe.«
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Mit der Zunge fuhr sie an seinen Lippen entlang und drang mit der Zungenspitze in seinen Mund. Lucian schloss die Augen und ließ sie gewähren. Er schien nicht einmal zu merken, dass sie sich mit dem ganzen Körper gegen ihn drängte. Dann trat sie einen Schritt zurück und ließ das Amulett los. Das genügt für heute, dachte sie. Sei entlassen!
    Während sie sich in den Anblick des Maisteins vertiefte und um den Felsen schritt, benötigte Ravennas Ritter einige Augenblicke, um sich zu fassen. Er wirkte verunsichert und verwirrt, doch offenbar erinnerte er sich nicht an die flüchtige Begegnung gerade eben.
    »Das ist also der Maistein«, meinte Yvonne. »Und was bedeutet das?«
    »Es bedeutet, dass Euer Kuhstall auf einem alten, magischen Platz steht«, erklärte Lucian, als er neben sie trat. »Ihr habt die Gabe des Rufens, nicht wahr? Vielleicht haben wir ein Tor gefunden, durch das

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