Die Hexen - Roman
und bis in den Bürstenstrich der Augenbraue zu verfeinern. Sie erkannte sofort, wenn etwas nicht stimmte. Beliar trug eine Maske, hinter der sein wahres Gesicht verborgen war.
»Du fragst warum? Ich musste mehr als siebenhundert Jahre auf diese Nacht warten, Ravenna. Inzwischen dürftest du eine Ahnung davon bekommen haben, wie schmerzhaft dieses Warten gewesen ist.«
Sie zog die Schultern hoch und ließ die Finger in den Ärmeln des Sweaters verschwinden. »Und worauf hast du gewartet? Auf mich und Yvonne? Auf die beiden letzten Erbinnen der Hexen? Wie bist du den Sieben damals entkommen? Du willst mir doch nicht erzählen, dass die Magierinnen nicht versuchten, dich wieder zu bannen.«
In Gedanken hatte sie sich alles genau zurechtgelegt: Die Sieben hatten sie gerufen, damit sie den Hexen half, den dämonischen Marquis zu besiegen. Doch irgendetwas war im Mittelalter geschehen, wodurch Beliar dem Fluch der Sieben entkommen war. Irgendetwas war schiefgegangen, sonst wäre der Teufel jetzt nicht hier.
Zu ihrer Überraschung lachte der Marquis. »Du bist sehr scharfsinnig, Ravenna«, lobte er. »Es stimmt: Es gelang mir damals nicht, die Sieben vollständig zu vernichten. Glaubst du, ich hätte von ihren Schriften auch nur ein Blatt übrig gelassen? Du hast doch das magische Buch in der Bibliothek entdeckt. Nein, ich war damals nur zum Teil erfolgreich. Ich musste so lange warten, um vollenden zu können, was auf dem Odilienberg begann.«
»Du hast Tausende von Magierinnen und Magiern getötet«, fuhr Ravenna ihn an. »All die Opfer des Hexenwahns – das war dein Werk, nicht wahr?« Sie erinnerte sich wieder daran, dass sogar ihre Großmutter Angst vor Verfolgungen gehabt hatte, und ihr Zorn darüber machte ihr Mut.
Beliar stellte die Kerze auf den Boden und richtete sich wieder auf. »Ravenna«, sagte er streng. »Ich will dir gerne berichten, warum es mir damals nicht gelang, den Zirkel der Sieben vollständig zu zerschlagen. Doch du musst mir zuhören und darfst mich nicht ständig mit deinen Beschuldigungen unterbrechen. Wie du weißt, befindet sich das Siegel des Sommers in meinem Besitz.«
Ravenna schluckte. Es stimmte – leider –, denn es war ihr und Lucian nicht gelungen, Melisendes Schatz zurückzuerobern.
»Aber was soll ich mit einem einzigen Siegel anfangen?«, fragte Beliar. »Um den Zirkel der Sieben zu brechen, brauche ich alle Hexenringe. In der Mittsommernacht tragen die Magierinnen ihren Schatz zusammen und wirken einen Zauber. Ich schmiedete einen Plan, wie ich die anderen Siegel in meine Gewalt bringen konnte, und weihte die Marquise ein. Leider rechnete ich nicht damit, dass ausgerechnet sie mir Widerstand entgegenbringen würde.«
»Elinor? Sie hat deinen Plan vereitelt?«, fragte Ravenna verblüfft. Sie dachte an die schwarz gekleidete Hexe mit dem Malvenkranz im Haar.
Beliar nickte. »Als alle Vorbereitungen getroffen waren, bat ich sie, mich in den Garten zu begleiten. Ich ahnte nicht, was sie vorhatte, sonst hätte ich sie aufgehalten. Als wir den Burgfried verließen, sprang sie plötzlich auf den Wehrgang und stürzte sich von den Zinnen. Du kennst meine Festung und weißt, wie steil die Felsen sind. Elinor war sofort tot. Zwar gelang es mir, ihr Blut zu nutzen und sofort zuzuschlagen, doch dadurch vermochte ich nur den Hexentanz in der Mittsommernacht zu vereiteln. Die Gelegenheit, den Sieben die Siegel zu entreißen, war unwiderruflich dahin. Durch meinen politischen Einfluss gelang es mir, den Konvent schließen zu lassen und Constantins Runde in alle Winde zu zerstreuen. Doch meine liebe Gemahlin wusste genau, was sie tat. Sie war eine der letzten ausgebildeten Tormagierinnen. Ohne sie war ich in der Zeit gefangen und musste jede Stunde und jede Minute erleben, bis zum heutigen Tag. Du ahnst nicht, wie lang selbst einem unsterblichen Dämon wie mir die Zeit werden kann. Ich habe alle menschlichen Vorstellungen der Hölle studiert, und ich kann dir sagen: Nichts davon ist wahr. Es gibt keine Feuerströme, keine Quälgeister, kein Tor aus glühendem Eisen und keine neun konzentrischen Kreise, die arme Sünder verschlingen. Die Hölle ist unendliche, unerträgliche Einsamkeit.«
Also Elinor, dachte Ravenna, ohne auf das Jammern des Teufels zu achten. Sie hat versucht, die Sieben zu retten, und zum Teil ist es ihr sogar gelungen. Die Marquise hatte sich der Schwarzen Magie doch nicht so weit zugewandt, wie Viviale befürchtete.
»Kssst … Ravenna!« Dicht vor ihren Augen
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