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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schnipste Beliar mit den Fingern. »Hörst du mir überhaupt noch zu? Kannst du mich nicht wenigstens ein klein wenig bedauern? Siebenhundert Jahre Einsamkeit! Kannst du dir vorstellen, wie entsetzlich langweilig diese Zeit war? Erst seit kurzem finden sich wieder Menschen, die dumm und machthungrig genug sind, um mir zu dienen.«
    »Menschen wie Oriana«, warf Ravenna ein. »Und zum Dank hast du sie umgebracht.«
    Zischend warf Beliar den Kopf in den Nacken. Auf dem Grund seiner Augen zeigte sich ein roter Funken, und Ravenna zuckte erschrocken zurück.
    »Oriana war eine minder begabte Schwarzmagierin«, erklärte der Marquis. »Und das wusste sie. Ich entdeckte sie, weil sie in ihrem Laden mit einem Teufelsauge herumspielte. Sie war nicht wie deine Schwester, der die Magie so selbstverständlich wie Blut durch die Adern fließt. Zusammen mit den anderen Angehörigen meines Zirkels gelang es ihr, das Zeittor aufzustoßen, damit ich wenigstes für kurze Zeit auf den Odilienberg zurückkehren konnte – in die Zeit, als die Marquise noch am Leben war. Mehr Talent war Oriana nicht vergönnt, doch sie gab sich freiwillig hin. Das ist etwas Besonderes: ein williges Opfer. Dafür ist sie nun ein Blatt am Baum der Nacht.«
    »Ein … was?« Allmählich fiel es Ravenna schwer, den Gedankensprüngen ihres Gegenübers zu folgen.
    Nachdenklich rieb Beliar sich über das Kinn. »Es war ihr letzter Wunsch, und ich habe ihn ihr erfüllt. Eines musst du begreifen: Ich bin keineswegs so grausam und unmenschlich, wie es Constantin oder die Sieben gerne darstellen. Ich begreife durchaus etwas von menschlichen Gefühlen, oder glaubst du, ich wäre sonst Psychiater geworden? Glaub mir, ich kenne eure kümmerlichen Seelen mit all ihren Abgründen. Streitereien, Selbstsucht und Hass und anschließend reuige Beichten und versöhnliche Tränen … ich habe genug davon erlebt. Aber ich griff nie ein, denn ich war nur als Beobachter hier, um mir das heillose Durcheinander anzuschauen, das Morrigan anrichtete. Indem sie den Strom der Magie in Gang setzte, wollte sie erreichen, dass jeder, wirklich jeder – vom kleinsten Licht bis zu den Reichen und Mächtigen dieser Welt – glücklich wird. Aber was ist schon Glück?«
    Er ist vollkommen irre, schoss es Ravenna durch den Kopf. Sie erkannte immer deutlicher, dass eigentlich Beliar in dieser Zelle einsitzen sollte und nicht sie. In ihrem Magen spürte sie ein nervöses, flattriges Gefühl und die Aufregung schlug ihr allmählich auf die Blase.
    »Was für eine blöde Idee«, murmelte er. »Indem Morrigan die Magie zum Fließen brachte, löste sie das größte Chaos der Geschichte aus, denn nun wollte jeder einen Anteil an dem Zaubersegen haben. Meine Welt hingegen wird vollkommen sein, denn kein Glück zu kennen bedeutet auch, kein Leid zu erfahren.«
    »Das ist dann genau wie diese Zelle hier«, warf Ravenna in bitterem Ton ein. »Hier gibt es auch weder Glück noch Liebe. Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun.«
    Beliar starrte sie an. Seine Augen wirkten wie zwei schwarze Glaskolben, auf deren Grund die Glut schwelte. »Genug geplaudert«, beschloss er. »Heute Nacht ist Neumond. Und das bedeutet, dass du dich bereitmachen solltest, denn von nun an wirst du mich durch alle Zeiten begleiten. Zwar muss ich deinen Geist zuvor unterwerfen, doch als Entlohnung sollst du zu einer Fürstin an meiner Seite werden.«
    »Danke, kein Bedarf«, murmelte Ravenna und versuchte, sich an den Rand des Kerzenkreises zurückzuziehen. Beliar packte sie mit harter Hand und zerrte sie zu einem Schaffell, das er in die Mitte des Kreises gelegt hatte. Dort stieß er sie zu Boden.
    »Rühr dich nicht vom Fleck!«, befahl er. »Du entkommst mir nicht, also bereite uns beiden keinen Ärger, indem du dich gegen dein Schicksal sträubst.«
    Mit hämmerndem Puls beobachtete Ravenna, wie der Marquis zur Tür ging. Die Kerzen flackerten, als er die Tür öffnete und einen Namen rief. Ein Mann mit schulterlangen Locken trat ein. Er war dunkel gekleidet und lächelte Ravenna zu, während er den Kerzenkreis lautlos umrundete und sich einen Platz im Raum suchte. Eine schöne junge Frau folgte ihm und dann traten immer mehr Leute in den Raum: schwarze, schweigende Gestalten.
    Das sind die Anhänger des Marquis, dachte Ravenna. Ihr Magen verkrampfte sich. Teufelsanbeter, würde Lucian sagen. In dieser Neumondnacht begegnete sie Beliars schwarzmagischem Zirkel zum ersten

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