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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Verwirrt setzte sie sich auf, doch ihre Verwirrung verwandelte sich rasch in Bestürzung, als sie feststellte, dass sie sich wieder in Beliars Arbeitszimmer befand. Sie saß in der Villa in der Rue des Meuniers, an jenem Ort, an den sie auf keinen Fall hatte zurückkehren wollen. Und sie war allein.
    Dann fiel ihr Blick auf den Ledersessel ihres Therapeuten. Beliar hat gelogen!, schoss es ihr durch den Kopf. Das Siegel ist hier. Deshalb hat mich der Weg durch das Tor an diesen Ort zurückgeführt.
    Hastig stand sie auf und zog den Jogginganzug zurecht. Das Zimmer war still und dunkel. Die Spuren der Verwüstung, die Lucian und sie angerichtet hatten, waren noch immer zu sehen. Papiere und Bücher lagen auf dem Boden verstreut, ein Regal war umgekippt und auf dem Schreibtisch herrschte Überschwemmung. Offenbar hatte Beliar die Villa nach dem Überfall verlassen und sich ein neues Versteck gesucht.
    Ravenna atmete tief durch. Jetzt kam alles darauf an, dass sie keine Fehler machte. Geräuschlos öffnete sie die Tür. Außer ihren hektischen Atemzügen war kein Geräusch zu hören, die Haustür war verschlossen und das Licht ausgeschaltet. Sie warf einen Blick auf die gläserne Treppe. Sie hatte nicht vor, ihr Gewicht den verhexten Stufen anzuvertrauen. Vielmehr befürchtete sie, dass es noch andere Fallen gab, und sie hoffte, in keine von Beliars magischen Schlingen zu treten.
    Barfuß rannte sie durch den Gang. Ihre Blase machte sich ärger bemerkbar als zuvor, doch sie wollte keine Zeit verlieren. Sobald Beliar und seine Anhänger begriffen, dass ihr Plan misslungen war, eilten sie bestimmt in die Rue des Meuniers, um das Siegel zu verteidigen.
    Verzweifelt rüttelte Ravenna an den Terrassentüren am Ende des Gangs. Sie waren verriegelt. Im Schloss der letzten Glastür steckte ein Schlüssel. Ravenna atmete auf, als sie ihn entdeckte, und wollte schon nach dem Riegel greifen, als sie sich plötzlich wieder an Esmees Warnung erinnerte, was besprochene und verhexte Gegenstände anging. Behutsam näherten sich ihre Finger dem Schlüssel. Er wurde schwarz, wie ein Löffel, den man in eine Kerze hielt. Mit einem Ruck zog Ravenna die Hand zurück, und der Schlüssel nahm wieder seine ursprüngliche Farbe an.
    Sie nagte an ihrer Unterlippe. Während sie mit einem Ohr zur Eingangshalle hin lauschte, kehrte sie in Beliars Arbeitszimmer zurück und nahm den teuren Kugelschreiber vom Schreibtisch. Als sie wieder vor der Terrassentür stand, hauchte sie die Spitze an und zeichnete ein Pentagramm um das verhexte Schloss. Sorgfältig achtete sie darauf, dass die Spitze des Sterns nach oben gerichtet war und dass sie dem vergifteten Schlüssel nicht zu nahe kam. Dann beugte sie sich zu dem Schloss.
    »Meltannier!«, befahl sie.
    Das Pentagramm glühte bläulich auf und verblasste wieder. Als Ravenna die Tür mit dem Finger antippte, brach das Schloss samt dem Pentagramm aus dem Rahmen. Beliar wird sich freuen, wenn er in seiner Villa Hexenmagie findet, dachte Ravenna und grinste schwach, als sie die Häkchen des hölzernen Fensterladens öffnete. Sie stieß den Laden auf, trat auf die Terrasse hinaus und nahm einen tiefen Atemzug. Endlich war sie frei! Die Nachtluft roch herrlich, nach dem Fluss, nach staubigem Teer und dem Leben in der Stadt.
    Dann fiel ihr Blick auf den großen Baum in Beliars Garten. Sie stutzte. Zum ersten Mal, seit sie in dieses Haus kam, trug der Baum Blätter. Das Laub wirkte ledrig und lebendig und raschelte nicht, sondern bewegte sich lautlos wie Fledermausflügel. Es wirkte, als würde der Baum atmen. Staunend betrachtete Ravenna den Stamm. Er war riesig und gefurcht, ganz anders als die freundliche Esche in ihrem Hinterhof. Die Äste tauchten in die Dunkelheit ein und wiegten Tausende von Sternen in ihren Zweigen. Der Anblick war schön und grausam zugleich.
    Von der Terrasse führte eine geschwungene Treppe in den Garten. Eilig stieg Ravenna die Stufen hinunter. Die Terrasse, der Pool, der Zaun mit den elektrischen Drähten – alles war in ein merkwürdiges, nachtschwarzes Licht getaucht. Beim Vorübergehen streifte sie mit den Fingerspitzen über den Baumstamm. Als sie den Baum berührte, löste sich ein Blatt von einem der oberen Äste und trudelte lautlos durch die Luft. Sacht kam es auf der Erde auf, doch Ravenna beachtete es kaum.
    Ihr Blick war auf ein Gebäude gerichtet, das hinter dem Baumstamm auftauchte. Mitten in Beliars Garten stand ein Mausoleum. Weder von der Straße noch vom

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