Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
verteidigt hatte: Eislicht. Mondstaub. Perlmutt.
    »Das dritte Auge«, flüsterte sie. »Es hat sich geöffnet. Ich habe den Baum der Nacht gesehen und Oriana …«
    Schaudernd berührte sie ihre Stirn. Das Mal war so kalt wie der Stab, der in ihrer Hand erschienen war. Mit einem tiefen Atemzug lehnte sie sich zurück. Während Lucian ihr Knie mit einem Leinenstreifen verband, schloss sie die Augen. Die wahre, magische Kraft war nicht an Dinge gebunden – das zwar auch, doch darauf kam es nicht unbedingt an, stellte sie fest. Besprochene Gürtel oder geweihte Schwerter hatten ihr nicht helfen können, als sie in der geschlossenen Abteilung der Uniklinik in der Falle saß. Sie hatte Beliars Verließ mit leeren Händen betreten und dennoch war sie mit Melisendes Siegel zurückgekehrt.
    Weil sie Magie wirken konnte. Weil sie tatsächlich eine Gabe besaß, die sie von Melisende und Mémé geerbt hatte. Und weil sie eine Hexe war.



Das Grab des Druiden

    »Wir müssen aufbrechen«, drängte Lucian, als sie wenig später in der unbeleuchteten Großküche saßen. Ravennas Haare waren noch nass. Sie hatte sich ein Handtuch über die Schultern gelegt, saß auf der Anrichte und fühlte sich so wohl wie seit ihrer Einlieferung nicht mehr. Sie trug wieder ihre Reitkleider und biss herzhaft in das Brot, das mit Speck, hartgekochten Eiern und Gurken belegt war. Es war die leckerste Mahlzeit, seit sie Beliar in die Falle gegangen war.
    »Wenn sich der Kampf um das Siegel so zugetragen hat, wie Ihr berichtet, dürfen wir uns hier nicht länger aufhalten«, wiederholte Lucian. »Bestimmt werden dieser Gress und seine Männer bald hier auftauchen. Wir sollten uns beeilen.«
    »Er hat völlig Recht«, mischte sich Yvonne ein. »Der Kommissar war in letzter Zeit öfter hier und versuchte, uns über deine Vergangenheit auszuhorchen. Irgendwie scheint er Doktor Corbeau nicht so recht über den Weg zu trauen. Zum Glück hat er eine Schwäche für Vaters Schnäpse. Dein Ritter hier sieht zwar nicht so aus, aber er verträgt eine ganze Menge.«
    Gutmütig klopfte sie Lucian auf die Schulter. Ravenna hatte den Mund voll Tee, doch sie prustete beinahe los. Die Vorstellung, wie Lucian mit Gress beim Abendessen saß und anschließend die Schnäpse ihres Vaters verkostete, brachte sie zum Lachen.
    »Wie habt ihr es angestellt, dass Gress Lucian nicht verdächtigte?«, wollte sie wissen. »Ich meine, Beliar hat der Polizei doch bestimmt eine Beschreibung geliefert.«
    »Seltsamerweise nicht«, brummte Lucian. »Vermutlich wollte er ebenso wenig wie Ihr, dass ich in Eurer Welt entdeckt werde. Er hat Euch die ganze Schuld gegeben und behauptet, Ihr hättet ihn auch früher schon bedroht.«
    Langsam schüttelte Ravenna den Kopf. Wie konnte es nur so weit kommen?, fragte sie sich. Wieso habe ich nicht schon früher bemerkt, aus welchem Holz dieser Corbeau geschnitzt war?
    Lucian schien ähnliche Gedanken zu hegen, denn er sah sie an und fragte: »Wie seid Ihr bloß an diesen Mann geraten?«
    Fröstelnd zog sie die Schultern hoch. »Dieser Einbrecher ist schuld«, murmelte sie. »Der Mann in meiner Wohnung. Er war krank, Lucian, vollkommen krank, und er hat Dinge mit mir getan …« Sie sprach nicht weiter.
    »Los jetzt«, befahl Yvonne. Sie räumte die Reste der Mahlzeit weg und sorgte dafür, dass die Küche so aussah wie vorher. »Ihr solltet zusehen, dass ihr aufbrecht.«
    Lucian runzelte die Stirn. »Ihr wisst, was wir vereinbart haben«, ermahnte er Ravennas Schwester. »Jetzt geht und holt die Kettenhemden und mein Schwert.«
    Ohne ein Wort verließ Yvonne die Küche. Ravenna zog die Augenbrauen hoch. »Was hast du denn mit ihr gemacht?«, fragte sie. »Seit wann gehorcht sie dir, ohne zu zögern? Wenn ich sie früher um einen Gefallen bat, hat sie mich an den Haaren gezogen.«
    Lucian lächelte schwach. »Das würde sie in meinem Fall wohl nicht wagen. Yvonne ist meine Gefangene. Sie war auf dem Boot, Ravenna.«
    Das Blut sackte ihr in die Beine und die unbeleuchtete Küche schien ein paar Grade dunkler zu werden. Ihre kleine Schwester hatte sich mit Beliars Schwarzmagiern eingelassen. Sie hatte mitgeholfen, als der Marquis Oriana zu seiner untoten Leibwächterin machte. Das war allerdings ein Grund, um sich Sorgen zu machen.
    »Und was jetzt?«, fragte sie, doch ehe Lucian antworten konnte, ging die Küchentür wieder auf und Yvonne trat ein, beide Arme mit den Kettenhemden beladen. Rasselnd ließ sie die Rüstungen auf die Kochinsel fallen

Weitere Kostenlose Bücher