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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Wir können nicht länger warten. Führt uns zu dem Tor, durch das Ihr in meine Zeit gekommen seid!«
    Sie hatte gute Lust, ihm zu widersprechen, ihn länger zappeln zu lassen, um ihm klarzumachen, dass es alleine an ihrer Hexenmacht und an ihrem guten Willen lag, wer wann welches Tor durchschritt. Als in der Ferne eine Sirene heulte, zuckte sie jedoch zusammen. Es war vielleicht nur ein Rettungswagen auf dem Weg zu einem Einsatz oder ein Löschzug der Feuerwehr – die Tonfolge genügte jedoch, dass Ravenna mit einem Satz aufs Pferd sprang.
    »In Ordnung«, brummte sie und lenkte ihren Wallach neben Yvonnes Stute. »Reiten wir los.«
    In flottem Tempo trabten sie an Weidezäunen, Feldern mit jungem Mais, Raps und Sonnenblumen entlang, setzten über Bachläufe und niedrige Hecken. In einem verschlafenen Weiler am Fuß des Berges bellte sie ein zottiger Hofhund an, aber er war zu träge, um sie zu verfolgen, und als die Sonne aufging, ritten sie bereits auf halber Höhe.
    Als Ravenna sich ein letztes Mal umdrehte, bemerkte sie, dass ihre Eltern Besuch bekommen hatten. Auf dem Parkplatz vor dem Gasthaus in Ottrott stand ein großer, grauer Wagen, auf dessen Dach ein Blaulicht befestigt war. Der Mercedes gehörte Gress. Nun gab es kein Zurück mehr.
    Sie wandte sich wieder dem Pfad zu, der steil vor ihr anstieg. Lucian schien die Gegend kaum wiederzuerkennen, obwohl es nach ihrem Zeitgefühl erst wenige Wochen her war, dass er hier entlanggeritten war. Als die Ruine von Burg Landsberg in Sicht kam, zog er entmutigt den Kopf ein. Auf der zerbrochenen Krone des Burgfrieds hockte eine Schar Raben. Efeu kroch aus den leeren Fensterhöhlen, die zu Constantins Saal gehört hatten. Ravenna erinnerte sich daran, wie sie hinter diesen Fenstern an der Feuerstelle gesessen und der Beratung der Hexen gelauscht hatte.
    »Siehst du jetzt, was ich meine?«, raunte sie. »Es ist fast nichts mehr übrig von Constantins Rittern und Gesetzen.«
    Lucian stieß einen langen Atemzug aus. Die Hand am Zügel lockerte sich und der Rappe schnaubte erleichtert. »Das mag sein, aber die Magie fließt auch in Eurer Zeit«, beharrte er. »Sonst wäre es uns nicht möglich gewesen, Euch am Maistein zu rufen.«
    Dem konnte sie nicht widersprechen. Sie schnalzte und ließ ihren Wallach in Galopp fallen. Der Gedanke, dass Gress sie einholen und in die Klinik zurückbringen könnte, machte sie nervös.
    Die Pferde waren nassgeschwitzt, als sie die Kuppe des Odilienbergs erreicht hatten. Die Sonne war nun aufgegangen und in der Ferne waren brummende Motoren zu hören.
    »Hier irgendwo war es«, rief Ravenna ihren Begleitern zu, nachdem sie die verfallene Heidenmauer durchquert hatten. Sie befanden sich nun innerhalb des Bauwerks, das einst den Hexenkonvent geschützt hatte, aber die Umgebung sah anders aus als vor wenigen Wochen: Weggeworfene Bierdosen und Schokoladenpapier verrieten, dass eine Gruppe Wanderer durch den Wald gezogen war. An einer Stelle hatten sie Feuer gemacht und Unmengen von zerknüllter Alufolie, Glasscherben und Kronkorken zurückgelassen. Als Ravenna zu dem Abhang kam, an dem der Tinkerwallach sie beinahe abgeworfen hatte, stöhnte sie auf: Der Hexenring war zertrampelt. Manchen Pilzen hatte man zum Spaß die Köpfe mit einem Stock abgehackt.
    Niedergeschlagen starrte sie auf die Verwüstung. Die Erleichterung, die sie am frühen Morgen verspürt hatte, war verflogen. Ihr Kopf schmerzte vor Müdigkeit und die verwundeten Stellen, die Beliar beim Kampf getroffen hatte, machten sich bemerkbar. »Wir müssen einen anderen Weg finden«, murmelte sie. »Ein anderes Tor, durch das wir …«
    »Achtung!«, rief Lucian, ehe sie ihren Satz vollendet hatte. »Runter von den Pferden – los doch!«
    Mit Getöse flog ein Hubschrauber über sie hinweg. Zwischen den Ästen blitzten Kufen und Blinklichter und Ravenna konnte die Kennnummer an der Unterseite lesen. Voller Panik bäumten sich die Pferde auf. Ravenna stürzte fast, als sie aus dem Sattel sprang. Lucian ließ den Rappen nicht eher los, bis er das Schwert samt Scheide in der Hand hielt. Dann ließ er die Zügel los. Führungslos galoppierten die Tiere in Richtung Straße. Der Ritter fluchte.
    »Ist das eine Suchmannschaft? Fahnden sie nach uns?« Ängstlich spähte Yvonne in den Himmel.
    »Komm! Um Himmels willen, nun komm schon!« Ravenna packte ihre Schwester am Handgelenk und stolperte mit ihr den Hang hinunter. Sie hatte keine Ahnung, ob die Suche am Himmel ihnen galt, sie hatte den

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