Die Hofnärrin
der
sein Pferd wartete.
Lady Dudley gönnte John Dee keinen Blick zum Abschied, obwohl
er kurz stehen blieb und sich in aller Ruhe vor ihr verneigte. Erst
nachdem die beiden das Haus verlassen hatten, schien sie plötzlich zu
begreifen, was dieser Abschied bedeutete. Sie lief ihnen nach, stieß
das Portal auf, und die helle Wintersonne durchflutete die Halle. Ich
war geblendet und kniff die Augen zusammen, sah Amy Dudley nur noch als
Silhouette am Kopf der Treppe. Einen Augenblick lang schien es mir, als
stünde sie nicht sicher, sondern schwanke auf der Schwelle zwischen
Leben und Tod, also trat ich vor und streckte meine Hand aus, um sie zu
stützen. Doch bei meiner Berührung fuhr sie herum, als wäre sie auf
eine Giftschlange getreten – und wäre nun tatsächlich
gestürzt, wenn John Dee nicht ihren Arm ergriffen und sie festgehalten
hätte.
»Rühr mich nicht an!«, fauchte sie. »Wage es ja nicht, mich
anzurühren!«
»Ich glaubte zu sehen …«
John Dee ließ Amy los und wandte sich besorgt an mich. »Was
hast du gesehen, Hannah?«
Ich schüttelte den Kopf. Selbst als er mich zur Seite zog,
damit niemand uns belauschen konnte, gab ich nichts preis. »Es ist zu
undeutlich«, sagte ich ausweichend. »Es tut mir leid. Es sah aus, als
balanciere sie auf einer Kante, als würde sie im nächsten Moment
fallen, und dann fiel sie auch fast. Aber mehr war da nicht zu sehen.«
John Dee nickte. »Wenn du wieder am Hof bist, versuchen wir es
wieder«, versprach er. »Ich glaube, du besitzt die Gabe noch, Hannah.
Ich glaube, du sprichst immer noch mit Engelszungen. Es liegt nur an
den stumpfen Sinnen von uns Sterblichen, dass wir sie nicht hören
können.«
»Ihr haltet Mylord auf!«, mahnte Lady Dudley scharf.
John Dee schaute nach unten, wo Lord Robert sich gerade in den
Sattel schwang. »Er wird es mir schon verzeihen«, sagte er. Dann nahm
er Amys Hand und wollte sich darüberbeugen, doch sie entzog sie ihm.
»Ich danke Euch für die Gastfreundschaft«, sagte er.
»Jeder Freund meines Gatten ist mir willkommen«, murmelte sie
mit Lippen, die sich kaum bewegten. »Woher sie auch kommen mögen.«
John Dee schritt die Treppe hinab, bestieg sein Pferd, zog vor
ihrer Ladyschaft den Hut, lächelte mir zu und ritt mit Lord Robert
davon.
Amy Dudley sah ihnen nach. Ich spürte, wie Zorn und Rachsucht
aus ihr herausbluteten wie aus einer Wunde, bis nur noch die Kränkung
übrig blieb. Sie stand aufrecht, bis die beiden außer Sicht waren, dann
gaben ihre Knie nach, und Mrs. Oddingsell nahm ihren Arm, um sie auf
ihr Zimmer zu bringen.
»Was nun?«, fragte ich Mrs. Oddingsell, als sie aus Amys
Zimmer kam und sorgfältig die Tür schloss.
»Nun wird sie ein paar Tage lang nur weinen und schlafen, und
wenn sie wieder aufsteht, ist sie wie eine Halbtote: innen kalt und
leer, ohne Tränen oder Wut, aber auch ohne Liebe. Danach wird sie immer
angespannter und wartet auf seine Rückkehr wie ein Jagdhund an der
kurzen Leine – und dann bricht ihre Wut sich wieder Bahn.«
»Und das immer und immer wieder?«, fragte ich, innerlich
erschüttert ob dieses Teufelskreises aus Schmerz und Wut.
»Immer und immer wieder«, bestätigte Mrs. Oddingsell. »Das
einzige Mal, dass sie Frieden fand, war in jenen Tagen, als seine
Hinrichtung in der Luft lag. Da konnte sie um ihn trauern, und um sich
selbst und um die Liebe, die sie früher füreinander empfunden hatten.«
»Sie wollte, dass er starb?«, fragte ich ungläubig.
»Sie hat keine Angst vor dem Tod«, bekannte Mrs. Oddingsell
traurig. »Ich glaube, sie sehnt sich danach, sehnt sich nach dem Tod
für beide. Welchen anderen Ausweg könnte es auch für sie geben?«
Frühling
1558
I ch wartete auf Neuigkeiten vom Hofe, erfuhr
jedoch nichts weiter als den üblichen Klatsch. Das Baby, das im März
hätte kommen sollen, ließ auf sich warten, und im April ging bereits
das Gerücht, die Königin habe sich wieder geirrt und sei gar nicht
schwanger. Jeden Morgen und jeden Abend lag ich in der kleinen
Hauskapelle der Philips' auf den Knien und betete zu unserer heiligen
Muttergottes, dass die Königin ein Kind erwarten solle, dass sie
vielleicht gar in ebendiesem Augenblick gebäre. Wie sollte sie eine
zweite Enttäuschung ertragen? Ich kannte sie als eine mutige Frau, die
auf der Welt nicht ihresgleichen hatte, aber zum zweiten Mal aus der
Wochenbettkammer zu treten und der Welt gestehen zu müssen, dass es
wieder nur ein zehnmonatiger Irrtum war – ich konnte mir
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