Die Insel Der Tausend Quellen
in der letzten Zeit nicht immer bei der Sache war. Oft schlichen sich neuerdings Gedanken an Doug in ihre stumme Fürbitte ein. Wenn Nora sich nicht eisern beherrschte und Doug ebenfalls einsah, in welchen Wahnsinn sie mit ihrer aufkeimenden Zuneigung hineinstolpern konnten, würden sie Gottes Beistand bald sehr nötig brauchen!
Doug Fortnam sang ebenfalls nicht mit und hatte auch kein Auge für den Reverend, der eben segnend die Hände hob, und die ergeben auf dem schlammigen Platz ausharrenden Sklaven. Stattdessen blickte er besorgt über die Versammlung hinweg zum Meer. Doug saß Nora gegenüber – man hatte für die Herren der Plantage Stühle in die erste Reihe gestellt, während die Damen etwas abseits vom Hauptgeschehen im Schatten einer ausladenden Cascarilla Platz genommen hatten. Vielleicht, damit die Kinder des Reverends nicht störten – Ruth Stevens hatte es geschafft, in den eineinhalb Jahren auf Jamaika bereits zwei zur Welt zu bringen –, und sicher, damit sie keineswegs auf die Idee kamen, mit den Sklavenkindern von Cascarilla Gardens zu spielen, obwohl es kaum welche gab. Ruth hasste es auch, wenn schwarze Mamas wie Adwea sich ihren Kindern gurrend näherten, um sie liebevoll zu streicheln oder zu kitzeln. Sie fürchtete sich vor den Schwarzen und wirkte entsprechend abgearbeitet, da sie in ihrem Pfarrhaus in Kingston nicht einmal ein schwarzes Hausmädchen duldete. Ein weißes anzustellen war nicht möglich – es gab keine weißen Dienstboten auf Jamaika. Überhaupt ließ Ruth keine Gelegenheit aus, über das Land zu klagen, in das es sie hier im Gefolge des Reverends verschlagen hatte. Sie fand es zu heiß und zu feucht und zu laut und zu heidnisch, was immer das bedeuten sollte.
»Na, über die Hitze können Sie heute aber nicht klagen«, meinte Nora und hielt das Gesicht in den Wind. Er wehte kräftig und kühler als sonst vom Meer herüber.
»Dafür wird’s regnen«, meinte Ruth pessimistisch und wies in Richtung Küste.
Tatsächlich brauten sich dort sehr dunkle Wolken zusammen, die rasch näher kamen – danach hatte Doug also ausgeschaut. Nora suchte jetzt doch seinen Blick, aber der junge Mann bemerkte es nicht. Er sprach aufgeregt auf seinen Vater ein, während der Reverend seine Gebete schneller beendete als sonst. Inzwischen fielen die ersten Regentropfen, und der Wind wurde stärker. Reverend Stevens zog es eindeutig ins Haus, wo ihn natürlich auch eine gute Mahlzeit erwartete. Die Fortnams pflegten den Geistlichen und seine Familie nach dem Gottesdienst zum Mittagessen einzuladen – während die Sklaven wieder an die Arbeit gingen.
Elias wechselte ein paar ärgerliche Worte mit Doug, und Nora hätte sich gern zu ihnen gesellt. Aber Ruth schwankte, als sie aufstand.
»Mir ist übel …«, murmelte sie. »Dieses Wetter … Immer diese Hitze, und dann plötzlich …«
Die junge Frau hatte Recht, die Luft kühlte sich jetzt merklich ab, nachdem es am Morgen noch sehr heiß gewesen war. Der Regen prasselte mittlerweile so stark, dass die Stimme des Reverends kaum noch zu vernehmen war.
Nora nahm Ruth Stevens das Kleine ab, das auf ihrem Schoß gesessen hatte, und sah sich um. Die Sklaven waren dabei, sich zu zerstreuen – oder unter ihren Aufsehern zu sammeln, es schien da einander widersprechende Befehle zu geben. Eigentlich sollten sie gleich wieder an ihre Arbeitsplätze, aber niemand konnte übersehen, dass ein Sturm aufzog. Würde er sich zu dem Hurrikan entwickeln, von dem sie so oft gesprochen hatten? Nora dachte an ihren Notfallplan.
Ruth stöhnte jetzt und griff nach ihrem Bauch. »Ich fürchte, ich muss mich übergeben!«
Adwea und die anderen Haussklaven machten sich, anscheinend etwas widerstrebend, auf den Weg zum großen Haus, aber die Küche wartete. Und auch Elias und der Reverend brachen rasch auf. Sorgen schienen sie sich nicht zu machen. Stevens hatte auch keinen Blick für seine Familie, er nahm wohl an, die Frauen würden sich den Männern plaudernd anschließen.
Doug dagegen debattierte mit den Aufsehern. Er stritt sich mit McAllister herum, sicher ging es um die Evakuierungspläne. Unterstützung war von seiner Seite also vorerst nicht zu erwarten, Nora war mit Ruth und ihren Kindern allein. Seufzend hielt sie der jungen Frau den Kopf, während diese hinter einer Cascarilla ihr Frühstück von sich gab. Das ältere Kind klammerte sich an Noras Rock und begann zu schreien, der Kleine auf ihrem Arm greinte.
»Ich muss ihn stillen«, murmelte
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