Die Insel Der Tausend Quellen
Town, Cascarilla Gardens
Herbst 1733 bis Herbst 1735
KAPITEL 1
D oug ließ Amigo den Strand entlanggaloppieren, bis sowohl er als auch das Pferd müde waren. Schließlich verhielt er den Hengst auf einer Klippe weit über dem Meer, er hatte den Sandstrand längst hinter sich gelassen. Atemlos blickte er auf die See im Mondlicht – der Ritt auf dem ungesattelten Pferd war anstrengend gewesen, hatte ihn aber immerhin nicht zum Denken kommen lassen. Nun, da etliche Meilen zwischen ihm und Cascarilla Gardens lagen, kam er langsam wieder zu sich. Und hatte erneut das Bild vor Augen, das sich ihm und Nora in Elias’ Räumen geboten hatte. Niemals, nicht in seinen schlimmsten Träumen, hätte er das auf Cascarilla Gardens umgehende Ungeheuer mit seinem Vater in Verbindung gebracht! Aber jetzt, im Nachhinein, sah auch er die Hinweise, die ihm und Nora entgangen waren. Elias’ mangelnde Bereitschaft, Sallys Vergewaltiger zu suchen, sein Desinteresse am Tod der schwarzen Mädchen – obwohl er sonst über jeden Penny schimpfte, den ihn der Ausfall eines Sklaven kostete. Máanus seltsames Verhalten, ihr Verschwinden – sämtliche Haussklaven mussten von Elias’ Taten gewusst haben! Und womöglich hatten Máanu und Akwasi geglaubt, Nora und Doug wüssten es auch.
Doug ließ sich vom Pferd gleiten und wanderte langsam neben Amigo in den Mangrovendschungel, der sich vor ihm auftat. Er war mehrmals mit Akwasi hier gewesen – zu Fuß natürlich ein Tagesausflug. Aber sie hatten atemlos vor Spannung den Urwald erforscht und waren schließlich durch den Anblick eines wirklich spektakulären Wasserfalls belohnt worden. Gedankenverloren folgte Doug einem Wasserlauf bachaufwärts, bis er ihn fand; im Mondschein wirkte er noch verwunschener und unwirklicher als bei Tageslicht. Das Wasser sprang kaskadenartig über rund geschliffene Steine – Akwasi und Doug hatten versucht hinaufzuklettern und gelacht, wenn sie immer wieder den Halt verloren und im Bach landeten. Doug ließ jetzt sein Pferd trinken und schöpfte auch selbst Wasser aus dem Bach. Er musste Nora den Wasserfall eines Tages zeigen …
Erst jetzt, als er sich langsam wieder entspannte, fiel ihm ein, in welch misslicher Lage er Nora und Mansah im Zimmer seines Vaters zurückgelassen hatte. Verdammt, hoffentlich war da nichts passiert! Aber andererseits glaubte er nicht, dass Elias Nora etwas antat – zumal es in Doug einen weiteren Zeugen seiner Schandtaten gab. Dennoch wäre es besser gewesen zu bleiben. Nora hatte ihn zwar aus dem Zimmer geschickt, aber doch nicht aus dem Haus. Er hätte auf sie warten und mit ihr reden müssen. Eine Lösung finden … eine bessere als feige Flucht …
Dougs Herz war schwer, als er sich von einem Stein aus erneut auf sein Pferd schwang. Langsam lenkte er Amigo durch den Dschungel. Als er die Klippen wieder erreichte, sah er ein seltsames Leuchten am Horizont. War das nicht die Richtung, in der Cascarilla Gardens lag?
Alarmiert spähte Doug nach Osten. Brannte dort etwas? Es kam relativ häufig vor, dass eine der Hütten im Sklavenquartier in Brand geriet, wenn die Schwarzen davor ein Feuer entzündeten. Aber jetzt, bei Nacht? Und eine brennende Hütte hätte man auf diese Entfernung auch nicht sehen können. Was dort in Flammen stand, war ein großes Haus! Doug stieß Amigo die Fersen in die Flanken. Was dort brannte, war Cascarilla Gardens! »Soweit wir bis jetzt wissen, gibt es im Haus ungefähr vier Tote, Sir.«
Benson, ein Aufseher der Keensley-Plantage, erstattete Doug Bericht, nachdem er einen anzüglichen Blick auf dessen spärliche Bekleidung geworfen hatte. Gewöhnlich hätte er wahrscheinlich gefragt, ob Doug öfter halb nackt bei Nacht ausritt, aber in Anbetracht der tragischen Situation würde er die Überlegungen dazu auf später verschieben.
»Ungefähr?«, fragte Doug und sah verwirrt und immer noch ungläubig auf die rauchenden Trümmer von Cascarilla Gardens.
Das Haus war fast völlig ausgebrannt, allerdings standen die Grundmauern noch; die zurückgebliebenen Sklaven hatten gleich nach Abzug der Maroons mit den Löscharbeiten begonnen. Außerdem waren die Hollisters und die Keensleys schnell verständigt worden. Schon nachdem die Aufseher ermordet worden waren und die Maroons die fluchtwilligen Sklaven zusammenriefen und zum Sturm auf das Haus einteilten, hatten sich ein paar ältere Hausdiener zu den anderen Plantagen aufgemacht. Das kam selten vor bei Maroon-Überfällen, aber gewöhnlich rekrutierten die
Weitere Kostenlose Bücher