Die Insel Der Tausend Quellen
Schmerz in ihren Füßen, sondern auch mit dem Brennen in ihrer Scham. Dazu führten die Wege kontinuierlich aufwärts. Nanny Town lag hoch in den Bergen.
Schließlich erreichten die Flüchtenden den Stony River, und die befreiten Sklaven jubelten. Der Fluss bot einen atemberaubenden Anblick im letzten Mond-und ersten Tageslicht, das er widerspiegelte – wie ein silbernes Band. Die Maroons folgten seinem Verlauf noch einige Meilen, und dann lag Nanny Town endlich vor ihnen! Die Neuankömmlinge bemerkten das Dorf zuerst gar nicht. Die Bauten der Ashanti fügten sich so harmonisch in die Landschaft ein, dass sie im Morgenlicht kaum erkennbar waren. Die Wächter der Maroons sahen die Karawane von Menschen und Tieren allerdings schon eine halbe Meile vor Erreichen der Stadt und kündigten sie mit lautem Hörnerschall an. Die Neuankömmlinge fuhren zusammen, als sie die Warnung hörten. Sie verhielten unweigerlich – einem möglichen Hinterhalt wären sie wahrscheinlich gleich zum Opfer gefallen.
Plötzlich traten Männer aus dem Buschwerk nah des Ufers, die vorher völlig unsichtbar und bewegungslos verharrt und die Wege beobachtet hatten. Die gewaltigen, schwer bewaffneten Schwarzen, einige in westlicher Kleidung, andere in der Tracht ihrer früheren Stämme, begrüßten Máanu und ihre fünf Begleiter erfreut und ehrerbietig. Dieses Abenteuer würde den Ruhm der Männer als Krieger mehren – und auch die Achtung, die man Máanu entgegenbrachte.
Nora schleppte sich mit letzter Kraft durch den Fluss und über die steilen Pfade hinauf zur Stadt. Sie sehnte sich nur noch nach einem Platz, auf dem sie sich fallen lassen konnte. Wenn Akwasi sie noch einmal nehmen wollte, sollte er es tun; inzwischen glaubte sie, zu erschöpft zu sein, um auch nur Schmerz zu spüren. Wenn er sie hinterher nur ausruhen ließ. Ihr Herz hämmerte, und ihr Atem ging stoßweise, als sie schließlich die Siedlung erreichten.
Aber damit war ihr Martyrium noch keineswegs beendet. Inzwischen war die Sonne vollständig aufgegangen. Die Straßen und Wege von Nanny Town waren bevölkert mit Männern, Frauen und Kindern, alle starrten Akwasi und seine ungewöhnliche Kriegsbeute hemmungslos an. Ein paar der schwarzen Frauen und Mädchen riefen der Weißen auch gleich Schmähworte nach, und eine spuckte nach ihr. Nora versuchte, es nicht zu beachten. Sie wollte nur schlafen. Über alles andere konnte sie später nachdenken.
Die Maroons führten ihre Schützlinge und die Lasttiere mit der reichen Beute im Triumphzug durch den Ort und ließen die Karawane dann auf dem Dorfplatz halten. Die meisten der früheren Sklaven, nun doch erschöpft von ihrem Gewaltmarsch und überwältigt von den neuen Eindrücken, ließen sich gleich auf den festgestampften Boden fallen. Die Bewohner der Stadt, angelockt von den Erzählungen der erfolgreichen Krieger, versorgten sie mit Wasser, Früchten und Fladenbrot, auf das sie eine Art Hirsebrei strichen. Die Neuankömmlinge schlangen das Essen hungrig herunter, Nora erhielt nichts. Der weißen Frau wurden nur ungläubige oder böse Blicke zuteil.
Dann trat eine kleine, unscheinbar wirkende Frau aus einer der runden Hütten, die den Dorfplatz umgaben. Nora konnte sie kaum erkennen. Sie hatte sich etwas abseits der befreiten Sklaven fallen lassen, bewacht von Akwasi, dessen gewaltiger Körper die Sicht auf die Geschehnisse weitgehend verdeckte. Allerdings reagierten die Neuankömmlinge mit gespanntem Raunen, die Einwohner von Nanny Town mit Hochrufen. Es schien sich um Granny Nanny zu handeln. Die Queen. Nora bemerkte verblüfft, dass jeglicher Laut auf dem Dorfplatz abriss, als die kleine Frau die Stimme erhob.
»So bist du zurückgekommen, Máanu, Tochter!«
Ein kaum hörbares Raunen. »Tochter« musste ein Ehrentitel sein.
»Wie ich gesagt habe, Queen Nanny. Mit reicher Beute und Verstärkung für den Stamm!« Máanus Stimme klang triumphierend.
»Und hast du deine Schwester befreien können?«
Nora hielt den Atem an. Widerwillig wuchs ihr Respekt vor Máanu. Der Hass der jungen Frau gegen den Backra, gekoppelt mit ihrer Liebe zu Mansah, hatte sie diesen Feldzug planen lassen. Ein einziges Mädchen hatte Elias bezwungen.
»Ja!«, sagte Máanu.
Nora nahm an, dass sie ihre Schwester vorschob. Mansah schluchzte schon wieder.
»Das?«, fragte Nanny spöttisch. »Dieses jammernde kleine Ding? War das der Mühe wert? Nun, du musst es wissen. Der Kerl brennt in der Hölle?«
»In der tiefsten und dunkelsten!«,
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