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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bringen, tut sich erneut weh, als er mit einem Fuß in einen der Lattenroste gerät, kehrt auf einem Bein hinkend wie ein Kranich in die Kajüte zurück, reißt sich die nassen Kleider vom Leib und macht sich, einzige Reaktion auf all diese sinnlosen Vorkommnisse, ans Schreiben, während draußen der Regen zuerst noch heftiger prasselt und dann nachläßt, worauf noch einmal die Sonne hervorkommt und ein paar Stunden lang scheint, bis schließlich die Nacht hereinbricht.
    Und es ist gut für uns, daß Roberto schreibt, denn so haben wir Zeit zu begreifen, was ihm während seiner Reise auf der Amarilli widerfahren war und was er dabei entdeckt hatte.
    Das Narrenschiff
    Die Amarilli war von Amsterdam aufgebrochen und ‘hatte einen kurzen Halt in London gemacht. Dort hatte sie heimlich in der Nacht etwas an Bord genommen, wozu die Matrosen eine Kette vom Deck bis zum Laderaum bildeten, und Roberto hatte nicht erkennen können, worum es sich handelte. Dann war sie in südwestlicher Richtung auf den Atlantik hinausgefahren.
    Roberto beschreibt amüsiert die Gesellschaft, die er an Bord vorgefunden hatte. Es schien, als hätte der Kapitän mit größter Sorgfalt möglichst weltfremde und wunderliche Passagiere ausgewählt, um sie bei der Abfahrt als Vorwand nehmen zu können, aber sich nicht um sie kümmern zu müssen, falls er sie dann unterwegs verlor. Sie zerfielen in drei Gruppen: in diejenigen, die begriffen hatten, daß die Amarilli nach Westen fahren würde (wie ein Ehepaar aus Galizien, das seinen Sohn in Brasilien besuchen wollte, oder ein alter Jude, der ein Gelübde abgelegt hatte, eine Pilgerfahrt nach Jerusalem auf dem längstmöglichen Weg zu machen), in diejenigen, die noch keine klaren Vorstellungen von der Größe der Erdkugel hatten (wie einige Wirrköpfe, die ihr Glück auf den Molukken versuchen wollten und nicht wußten, daß sie schneller auf der Ostroute dorthin gelangen würden), und schließlich diejenigen, die schamlos getäuscht worden waren, wie eine Gruppe von Häretikern aus den piemontesischen Tälern, die sich mit englischen Puritanern an der Nordküste der Neuen Welt zusammentun wollten und nicht wußten, daß die Amarilli direkt nach Süden fuhr, um erst in Recife haltzumachen. Als diese letzteren den Betrug bemerkten, waren sie gerade in der - damals holländischen Kolonie eingetroffen und zogen es vor, in jenem protestantischen Hafen zu bleiben, um nicht unter die Portugiesen zu fallen, von denen sie Schlimmeres befürchteten. In Recife na im die Amarilli einen Malteserritter an Bord, einen Mann mit Korsarengesicht, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, eine Insel namens Escondida zu finden, von der ihm ein Venezianer erzählt hatte, deren Lage er jedoch nicht kannte und deren Namen niemand sonst auf dem Schiff je gehört hatte. Ein Zeichen dafür, daß der Kapitän seine Passagiere, wie man zu sagen pflegt, mit der Laterne gesucht haben mußte.
    Er kümmerte sich dann auch nicht mehr um das Wohl der kleinen Schar, die sich im Unterdeck zusammendrängte: Solange sie den Atlantik überquerten, hatte es nicht an Nahrung gemangelt, und ein paarmal hatten sie an den amerikanischen Küsten Proviant aufgenommen. Aber nach einer Fahrt unter extrem langgezogenen flockigen Wolken vor einem stahlblauen Himmel, nachdem sie das Fretum Magellanicum passiert hatten, mußten alle außer den hochrangigen Gästen mindestens zwei Monate lang fauliges Wasser trinken, von dem man Bandwürmer bekam, und Zwieback essen, der nach Rattenpisse stank. Und einige Matrosen sowie zahlreiche Passagiere starben an Skorbut.
    Auf der Suche nach Proviant fuhr das Schiff im Westen die Küste von Chili hinauf und legte an einer verlassenen Insel an, die auf den Karten als Más Afuera eingetragen war. Dort blieben sie drei Tage.
    Das Klima war gesund und die Vegetation üppig, so daß der Malteserritter meinte, es müßte ein schönes Los sein, eines Tages als Schiffbrüchiger an dieser Küste zu landen und hier glücklich zu leben, ohne je wieder in die Heimat zurück zu wollen - und er versuchte sich einzureden, dies sei Escondida.
    Ob nun Escondida oder nicht, wenn ich dort geblieben wäre - sagte sich Roberto auf der Daphne -, wäre ich jetzt nicht hier und würde keinen Eindringling fürchten, bloß weil ich einen Fußabdruck im Kielraum gesehen habe.
    Auf der Weiterfahrt gab es »widrige Winde«, wie der Kapitän sagte, und das Schiff nahm wider alle guten Gründe Kurs nach Norden. Roberto hatte nichts von widrigen

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