Die kalte Legende
es noch funktionierte, was wichtig war, wenn man das Radio durch einen Checkpoint oder durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen bringen wollte. Ein anderes Mal packte er die Masse in ein neumodisches Satellitentelefon und erläuterte die Vorteile: Wenn man es richtig anstellte, konnte man die Zielperson anrufen und an der Stimme erkennen, bevor man die Sprengladung zündete und sie enthauptete.
Zunächst hatten die jungen Männer Angst davor, den Sprengstoff anzufassen, doch das änderte sich, als sie sahen, wie Dante einen Klumpen der Masse von einer Hand in die andere warf, um zu zeigen, dass nichts passieren konnte. Abdullah brachte unterdessen Dantes handgeschriebene Liste zu Dr. al-Karim und fuhr dann mit einer Geldbörse voller kostbarer amerikanischer Dollar nach Beirut, um die akkubetriebenen Sender und Empfänger zu kaufen, aus denen sich Zünder mit Fernbedienung basteln ließen.
Als Dante das erste Mal in Dr. al-Karims Arbeitszimmer erschien, saß der Imam am Schreibtisch, über seinen stattlichen Bauch gebeugt, und tippte mit zwei Fingern auf einer IBM-Schreibmaschine. Von draußen drang das leise Brummen eines benzinbetriebenen Generators herein, der sich hinter dem Gebäude befand. » Assalamu aleikum – Friede sei mit dir. Ich würde Ihnen eine Zigarette anbieten, wenn Sie noch rauchen würden«, sagte der Imam und bedeutete ihm, auf einem hölzernen Küchenstuhl Platz zu nehmen. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mir eine anzünde?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.«
Der Imam blickte verdutzt. »›Keinen Zwang antun‹, was für ein seltsamer Ausdruck.«
»Nur eine nichtssagende Redewendung«, gestand Dante.
»Ich habe den Eindruck, dass Amerikaner sich oft in nichtssagende Phrasen flüchten, wenn sie nicht wissen, was sie sagen sollen.«
»Es wird nicht wieder vorkommen.«
Dieselbe Frau, die Dante das Frühstück gebracht hatte, kam aus dem angrenzenden Raum und brachte ihnen Teller mit kleinen honigtriefenden Plätzchen und zwei Gläser, die mit Minzblättern und kochend heißem Wasser gefüllt waren. Während er den Tee abkühlen ließ, knabberte Dante an einem Plätzchen und sah sich in dem spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer um: gerahmte Fotos von Fedajin an ihrem letzten Tag im Ausbildungslager, an einer Wand ein großes Bild der Jerusalemer Omar-Moschee mit ihrer goldenen Kuppel, in der Ecke lehnte eine Kalaschnikow, auf einem niedrigen Tisch stand ein Goldfischglas, in dem ein einzelner Fisch seine Kreise zog, als suche er einen Ausgang, neben der Tür auf dem Boden ein Stapel Newsweek-Ausgaben. Dr. al-Karim zog seinen Stuhl um den Schreibtisch herum und stellte ihn seinem Gast gegenüber, ehe er schwerfällig wieder darauf Platz nahm und beide Hände an dem Glas Minztee wärmte.
Der Imam sprach leise und wählte seine Worte mit Bedacht: »Es gab mal eine Zeit, da habe ich hohes Ansehen genossen.«
»Nach meinem bisherigen Eindruck ist das noch immer der Fall.«
»Aber wie lange noch, Mr. Pippen? Wie lange, glauben Sie, kann man predigen, dass die Vernichtung seines größten Feindes unvermeidlich ist, ohne dass es geschieht, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren, die für eine spirituelle Leitfigur unverzichtbar ist? In diesem Dilemma befinde ich mich. Ich muss weiterhin die Hoffnung nähren, dass der Lohn für unsere Opfer nicht nur der Märtyrertod ist, sondern auch ein gewisser Sieg über die israelischen Besatzer im Libanon und Palästina und über die Juden, die sich verschworen haben, die Weltherrschaft zu übernehmen. Doch irgendwann sieht auch der einfachste Fedajin, wenn er in den Kampf gegen den Feind geschickt wird und durch seinen Feldstecher späht, dass die Israelis noch immer ihre mit Sandsäcken geschützten Festungen im Süden des Libanon besetzt halten, dass sie mit ihren Patrouillenbooten noch immer die Wellen vor unserer Küste durchpflügen und mit ihren Düsenjägern den Himmel über unseren Köpfen verunstalten.«
»Glauben Sie denn wirklich, dass der Sieg unvermeidlich ist?«, fragte Dante.
»Ich bin überzeugt, dass die Juden eines Tages, genau wie die christlichen Kreuzfahrer vor ihnen, eine Fußnote in der langen arabischen Geschichte darstellen werden. So steht es geschrieben. Aber wird es noch zu meinen Lebzeiten geschehen? Oder wird es zu Lebzeiten meiner Kinder geschehen?« Dr. al-Karim trank von seinem Tee, leckte sich die Lippen, um den Minzgeschmack zu genießen, und beugte sich vor. »Ich kann noch etwas Zeit
Weitere Kostenlose Bücher