Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Hände beruhigten sich.
    Sam zündete sich eine Zigarette an und gab Guilitt auch eine, dem einzigen Menschen im Trakt, mit dem er teilte. Hank Henshaw, links von ihm, rauchte nicht. Sie pafften einen Moment, beide bliesen den Rauch zu der Reihe von Fenstern im Flur hinauf.
    Schließlich sagte Sam: »Ich gehe nirgendwohin, J. B. Mein Anwalt sagt, wir hätten eine gute Chance.«
    »Glaubst du das?«
    »Ich denke schon. Er ist ziemlich tüchtig.«
    »Muß ein komisches Gefühl sein, einen Enkel zum Anwalt zu haben. Kann ich mir einfach nicht vorstellen.« Gullitt war einunddreißig, kinderlos, verheiratet, und beklagte sich oft über den Freund seiner Frau, der draußen in der freien Welt lebte. Sie war eine grausame Person, die ihn nie besuchte und ihm nur einmal einen kurzen Brief geschrieben hatte mit der guten Nachricht, daß sie schwanger war. Guilitt schmollte zwei Tage, bevor er Sam gestand, daß er sie seit Jahren geschlagen und selbst massenhaft andere Frauen gehabt hatte. Einen Monat später schrieb sie noch einmal und sagte, es täte ihr leid. Eine Freundin hätte ihr das Geld für eine Abtreibung geliehen, erklärte sie, und sie wollte doch keine Scheidung. Gullitt hätte nicht glücklicher sein können.
    »Ja, es ist schon irgendwie komisch«, sagte Sam. »Er sieht mir überhaupt nicht ähnlich, aber er hat viel von seiner Mutter.«
    »Also ist der Bursche einfach aufgekreuzt und hat gesagt, er wäre dein lange verlorener Enkel?«
    »Nein. Zuerst nicht. Wir haben uns eine Weile unterhalten, und seine Stimme hörte sich vertraut an. Hörte sich an wie die seines Vaters.«
    »Sein Vater ist dein Sohn, stimmt's?«
    »Ja. Er ist tot.«
    »Dein Sohn ist tot?«
    »Ja.«
    Endlich kam das grüne Buch von Preacher Boy an, zusammen mit einer weiteren Nachricht über einen grandiosen Traum, den er zwei Nächte zuvor gehabt hatte. Ihm war kürzlich die seltene geistige Gabe zuteil geworden, Träume interpretieren zu können, und er konnte es kaum abwarten, Sam davon profitieren zu lassen. Der Traum war noch dabei, sich ihm zu offenbaren, und sobald er alle Teile beisammen hatte, würde er sie entschlüsseln und entwirren und Sam ins Bild setzen. Es war etwas Gutes, soviel wußte er schon jetzt.
    Wenigstens singt er nicht mehr, dachte Sam, als er sich wieder aufs Bett gesetzt und die Nachricht gelesen hatte.
    Preacher Boy war außerdem Gospelsänger und Songwriter gewesen, und von Zeit zu Zeit überkam ihn der Geist so heftig, daß er mit voller Lautstärke und zu jeder Tagesund Nachtzeit seine Mitgefangenen mit seinem Gesang beglückte. Er hatte einen ungeschulten Tenor mit wenig Höhe, aber einem unglaublichen Volumen, und die Beschwerden kamen schnell und wütend, wenn er seine neuen Melodien erschallen ließ.
    Gewöhnlich erschien Packer selbst, um dem Lärm ein Ende zu machen. Sam hatte sogar gedroht, juristische Schritte zu ergreifen und die Hinrichtung des Jungen zu beschleunigen, wenn das Gesinge nicht aufhörte, eine sadistische Bemerkung, für die er sich später entschuldigte. Der arme Junge war einfach verrückt, und wenn Sam lange genug lebte, hatte er vor, es mit der Berufung auf Geistesgestörtheit zu versuchen, von der er in dem kalifornischen Fall gelesen hatte.
    Er streckte sich auf seinem Bett aus und begann zu lesen. Der Ventilator ließ die Seiten flattern und wälzte die stickige Luft um, aber binnen Minuten war das Laken unter ihm naß. Er schlief in Feuchtigkeit bis in die frühen Morgenstunden, wo es im Trakt fast kühl und das Laken fast trocken war.
17
    D as Auburn House war nie ein Wohnhaus gewesen, sondern jahrzehntelang eine merkwürdige kleine Kirche aus gelben Ziegelsteinen und Buntglasfenstern. Es stand, von einem häßlichen Maschendrahtzaun umgeben, auf einem schattigen Grundstück, nicht weit von der Innenstadt von Memphis entfernt. Die gelben Ziegelsteine waren mit Graffiti besprüht, und an die Stelle der Buntglasfenster war Sperrholz getreten. Die Gemeinde war schon vor Jahren nach Osten geflüchtet, fort von der Innenstadt, in die Sicherheit einer der Vorstädte. Sie harten ihre Bänke und ihre Gesangbücher mitgenommen und sogar ihren Kirchturm. Am Zaun patrouillierte ein Wachmann, stets bereit, das Tor zu öffnen. Nebenan stand ein verfallenes Mietshaus, und einen Block dahinter lag ein herunterkommender Komplex aus Sozialwohnungen, aus dem die Patienten von Auburn House kamen.
    Es waren alles junge Mütter, ausnahmslos Teenager, deren Mütter gleichfalls Teenager gewesen und

Weitere Kostenlose Bücher