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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Lionetto. »Er glaubt, dass du ihm nicht wie Piero ins Gesicht lügst, wenn du ihm die Hand küsst.«
    »Werde ich ihm denn die Hand küssen?«, fragte ich und rieb mir die Augen. Ich war müde, furchtbar müde …
    »Das solltest du in unser aller Interesse tun! Und vielleicht auch gleich noch ein paar andere Körperteile …«
    Das sollte ich schon in meinem eigenen Interesse tun! Eine Reise an den Hof des französischen Königs wäre vielleicht nicht das Dümmste, was ich tun konnte. Mein Bruder hatte versucht, mich zu töten. Florenz war also ein gefährliches Spielfeld für mich. Hier konnte ich nicht bleiben. Aber auch Rom und Mailand waren lebensgefährlich …

    Der Sturm der Geschichte verweht alle Spuren.
    Das ist ein Naturgesetz, das viele Menschen, die so gern ihre eindrucksvollen Fußabdrücke hinterlassen würden, traurig stimmt. Aber nicht mich, denn diese Einsicht stimmt mich heute, so viele Jahre nach diesen Ereignissen im Winter 1493, geradezu euphorisch. Wenn man ein paar Stunden Zeit hatte, sich in einem eisigen Laboratorium an die eigene Nichtexistenz zu gewöhnen, und wenn der furchtbare Schmerz der Erkenntnis, dass man dem Tod näher ist als dem Leben, verglommen ist – dann macht es sogar Spaß, alle an der Nase herumzuführen.
    Im Lauf der Jahre habe ich viel von Cesare gelernt: meine Grenzen zu erkennen, um sie schon am nächsten Tag zu überschreiten, mit vollem Risiko zu spielen, um zu überleben und – zu siegen. Die Kunst der Täuschung, die Unverfrorenheit, alle zum Narren zu halten, das Lächeln, die Maskerade und das Spielen einer Rolle hat er von mir gelernt.
    Ich habe keine Spuren hinterlassen. Nie hat irgendjemand erfahren, dass ich inkognito in Frankreich war und was ich dort getan habe – mit einer Ausnahme: Er war selbst dort. Piero und Gianni haben nie herausgefunden, dass ich nicht all die Monate in Sevilla war, um bei Amerigo auf Cristoforo Colombos Rückkehr von seiner zweiten Indienreise zu warten, um ihn nach Handelsmöglichkeiten – indische Gewürze und chinesische Seide – für das bankrotte Medici-Unternehmen zu befragen.
    Ich hustete mir die Seele aus dem Leib – »beeindruckend glaubwürdig«, wie Lionetto grinsend mein schauspielerisches Talent bewertete –, während ich Piero an diesem Abend am knisternden Kaminfeuer vom warmen Winter in Sevilla vorschwärmte, von blühenden Orangenbäumen an den Ufern des Guadalquivir, und wie gut mir die Reise täte, um mich von der überstürzten Flucht aus Mailand zu erholen …
    Piero schien erleichtert, dass ich für ein paar Monate aus Florenz verschwand und nach Sevilla ging. Hoffte er, dass ich in Granada oder Córdoba oder am Königshof in Barcelona einen spanischen Granden kennen lernte, der mich in seine Burg verschleppte?
    Am nächsten Morgen ritt ich mit Lionetto nach Pisa, um mich auf einer spanischen Galeone nach Sevilla einzuschiffen. Dort ging ich am 17. Dezember nach einer ruhigen Überfahrt allein an Land. Lionetto war von Pisa aus nach Lyon aufgebrochen, um wenig später Erzbischof Briçonnet in Orléans zu treffen und ihm meine Antwort zu unterbreiten.
    Ich fand Amerigo im Kontor seines Unternehmens: »¡Buenos Días, Señor Vespucci!«
    »Caterina!«, rief er erfreut, als er mich erkannte. »Was tust du denn in Sevilla?« Er sprang vom Schreibtisch auf und umarmte mich.
    »Ich bin auf dem Weg nach Frankreich.«
    »Frankreich liegt im Norden«, klärte er mich auf.
    »Und Indien liegt im Osten, und doch segelt Don Cristóbal nach Westen. Manchmal sind Umwege Wege, um überhaupt anzukommen.«
    Amerigo lud mich ein, ein paar Tage in Sevilla zu bleiben und mit ihm Weihnachten zu feiern. Die wenigen Tage der Ruhe und Besinnlichkeit, unsere Spaziergänge am Guadalquivir und unsere Gespräche im Hafen brachten mich auf andere Gedanken.
    Am 10. Januar 1494 ging ich in Palos an Bord eines portugiesischen Seglers, der mich nach Nantes an der französischen Atlantikküste bringen sollte. Palos! Von hier aus war Cristoforo Colombo drei Monate zuvor zu seiner zweiten Reise nach Indien in See gestochen. Ich nahm genau denselben Weg: nach Westen. Wir segelten in den offenen Atlantik hinaus, wo noch zwei Jahre zuvor die Welt geendet hatte. Ein eisiger Wind wehte mir um die Nase, aber ich blieb an Deck, auch während des Sturms, der uns so weit nach Westen trieb, dass das Land außer Sicht geriet. Ein herrliches Gefühl! Die absolute Freiheit, das Losgelöstsein von allem! Es war … unbeschreiblich.
    Ende Januar

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