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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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fortgerissen hatte.
    Der Silberschlüssel
    Als Randolph Carter dreißig Jahre alt war, verlor er den Schlüssel zum Tor der Träume. Vor dieser Zeit hatte er sich für die Eintönigkeit des Lebens mit nächtlichen Exkursionen in seltsame und alte Städte jenseits des Raumes, und schöne, unglaubliche Gartenlandschaften hinter ätherischen Meeren entschädigt; doch als ihn die mittleren Jahre beschwerten, fühlte er, wie ihm diese Freiräume nach und nach entglitten, bis er zuletzt ganz von ihnen abgeschnitten war. Nicht länger konnten seine Galeeren nun den Oukranos aufwärtssegeln, vorbei an den Spitztürmen von Thran, oder seine Elefantenkarawanen durch die parfümierten Dschungel von Kled stampfen, wo vergessene Paläste lieblich und unversehrt unter dem Mond schlummern.
    Er hatte viel über die Dinge gelesen so wie sie sind und mit zu vielen Leuten gesprochen. Wohlmeinende Philosophen hatten ihn gelehrt, den logischen Zusammenhang der Dinge zu beachten und die Vorgänge zu analysieren, die seine Gedanken und Phantasien formten. Das Wunder hatte sich verflüchtigt, und er hatte vergessen, daß das ganze Leben nur eine Folge von Bildern im Gehirn ist, wobei kein Unterschied besteht zwischen jenen, die realen, und jenen, die inneren Visionen entspringen, und also auch kein Grund vorliegt, die einen höher als die anderen einzustufen. Die Sitten der Zeit hatten ihm eine abergläubische Ehrfurcht vor dem eingehämmert, was greifbar und körperlich existiert und ihn insgeheim beschämt gemacht, daß er sich bei Visionen aufhielt. Weise Männer hatten ihm erklärt, seine einfachen Phantasien seien albern und kindisch und überdies absurd, weil ihnen ihre Akteure beharrlich Sinn und Bedeutung zusprächen, während sich der blinde Kosmos ziellos weiterwälze vom Nichts ins Etwas und vom Etwas wieder zurück ins Nichts, ohne die Wünsche oder Existenz jener Geister zu achten oder zu kennen, die ab und zu in der Finsternis sekundenlang aufflackern.
    Sie hatten ihn an die Kette der realen Dinge gelegt, und dann das Wirken jener Dinge solange erklärt, bis das Mysterium aus der Welt verschwunden war. Als er sich beklagte und danach sehnte, in die Zwielichtbereiche zu entfliehen, wo 94
    Magie all die kleinen, lebhaften Fragmente und Assoziationen seines Geistes zu Perspektiven atemloser Erwartung und unerschöpflicher Entzückung modellierte, verwiesen sie ihn stattdessen an die neuentdeckten Wunder der Wissenschaft und geboten ihm, in der Vortex des Atonis ein Wunder und in den Dimensionen des Himmels ein Mysterium zu finden. Und als es ihm nicht gelingen wollte, diese Gaben in Dingen zu entdecken, deren Gesetze bekannt und meßbar sind, da sagten sie, es mangele ihm an Imagination und Reife, weil er Traumillusionen den Illusionen unserer physikalischen Schöpfung vorzog.
    Deshalb hatte Carter versucht, es so wie andere zu halten und vorgegeben, daß die alltäglichen Begebenheiten und Gefühle irdischer Gemüter bedeutsamer wären als die Phantasien rarer und delikater Seelen. Er hatte nicht widersprochen, als sie ihm sagten, daß die realen Schmerzempfindungen eines abgestochenen Schweins oder eines dyspeptischen Pflügers etwas Großartigeres seien, als die unvergleichliche Schönheit von Narath mit seinen hundert gemeißelten Toren und Kuppeln aus Chaicedon, an die er sich aus seinen Träumen noch schwach erinnerte; und unter ihrer Anleitung kultivierte er ein gewissenhaftes Gespür für Mitleid und Tragödie.
    Von Zeit zu Zeit konnte er sich dennoch nicht der Einsicht verschließen, wie schal, wankelmütig und bedeutungslos alles menschliche Trachten ist, und wie ärmlich sich unser reales Tun gegen jene pompösen Ideale ausnimmt, die wir angeblich verfolgen. Für gewöhnlich nahm er seine Zuflucht dann zu dem höflichen Lachen, womit sie ihn gelehrt hatten, der Extravaganz und Künstlichkeit der Träume zu begegnen; denn er merkte, daß das Alltagsleben unserer Welt um keinen Deut weniger extravagant und künstlich ist, und in seiner Schönheitsarmut und dem dummen Widerstreben, den eigenen Mangel an Sinn und Zweck einzugestehen, weitaus weniger respektabel. Auf diese Weise wurde er eine Art Humorist, denn er sah nicht, daß in einem geistlosen, von jedem echten Maßstab für Bestand oder Unbestand entleerten Universum sogar der Humor nichtig ist.
    In den ersten Tagen seiner Knechtschaft hatte er sich dem milden kirchlichen Glauben zugewandt, den ihm das naive Vertrauen seiner Väter liebmachte, denn dort dehnten sich

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