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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H.P. Lovecraft
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verhexten, alten Stadt seiner Vorväter in New England zurück, und zwischen den schimmeligen Weiden und schwankenden Walmdächern machte er Erfahrungen in der Finsternis, die ihn gewisse Seiten im Tagebuch eines wirrköpfigen Ahnen auf immer versiegeln ließen. Doch diese Schrecken brachten ihn nur bis an den Rand der Realität und gehörten nicht zu dem echten Traumland, das er in seiner Jugend gekannt hatte; so begrub er im Alter von fünfzig Jahren die Hoffnung auf Ruhe und Zufriedenheit in einer Welt, die für Schönheit zu geschäftig und für Träume zu arglistig geworden war.
    Als er die Heuchelei und Nichtigkeit der realen Welt erfahren hatte, verbrachte Carter sein Leben in Zurückgezogenheit und mit sehnsuchtsvollen, unzusammenhängenden Erinnerungen an seine traumreiche Jugend. Es schien ihm unsinnig, daß er überhaupt noch weiterleben sollte, und er besorgte sich über einen südamerikanischen Bekannten eine sehr merkwürdige Flüssigkeit, die ihn schmerzlos ins Vergessen befördern sollte. Trägheit und die Macht der Gewohnheit ließen ihn die Sache jedoch aufschieben; und er weilte unentschlossen unter den Gedanken aus alten Tagen, nahm die seltsamen Tapeten von den Wänden und richtete das Haus wieder so her, wie es in seiner frühen Kindheit ausgesehen hatte − mit Purpurscheiben, viktorianischem Mobiliar und allem was dazugehörte.
    Mit der Zeit freute er sich beinahe, gezögert zu haben, denn die Relikte aus seiner Jugend und seine Trennung von der Welt ließen das Leben und seine Sophisterei sehr fern und unwirklich erscheinen; so sehr, daß sich ein Hauch von Magie und hoffnungsvoller Erwartung in seinen nächtlichen Schlaf zurückstahl. Jahrelang hatte dieser Schlaf nur jene verdrehten Spiegelungen alltäglicher Dinge gebracht, wie sie in den allergewöhnlichsten Träumen figurieren, doch jetzt flackerte darin wieder etwas Seltsameres und Wilderes auf; etwas, das undeutlich und ehrfurchtgebietend bevorstand und die Gestalt scharfer, klarer Bilder aus seiner Kinderzeit annahm, und ihn an kleine, widersinnige Dinge denken machte, die er längst vergessen hatte. Er erwachte oft davon, daß er nach seiner Mutter oder seinem Großvater rief, die beide seit einem Vierteljahrhundert in ihren Gräbern ruhten.
    Dann erinnerte ihn sein Großvater eines Nachts an den Schlüssel. Der graue, alte Gelehrte, munter wie zu Lebzeiten, sprach lange und eindringlich von ihrem alten Geschlecht und von den sonderbaren Visionen der delikaten und sensitiven Männer, die es bestimmten. Er sprach von dem flammäugigen Kreuzfahrer, der den Sarazenen, die ihn gefangenhielten, wahnsinnige Geheimnisse ablauschte; und von dem ersten Sir Randolph Carter, der die Magie studierte, als Elizabeth Königin war. Er sprach auch von jenem Edmund Carter, der während des Salemer Hexengerichts dem Strang nur knapp 98
    entkommen war, und der in einem antiken Kasten einen großen, silbernen Schlüssel verwahrt hatte, der von seinen Ahnen auf ihn gekommen war. Ehe Carter erwachte, hatte ihm der freundliche Besucher noch mitgeteilt, wo er jenen Kasten linden konnte; jenen geschnitzten Eichenkasten archaischer Wunder, dessen grotesken Deckel seit zwei Jahrhunderten keine Hand gehoben hatte.
    Im Staub und den Schatten der geräumigen Dachkammer fand er ihn, fern und vergessen, ganz hinten in der Schublade einer hohen Kommode. Er maß etwa einen Fuß im Geviert, und die gotischen Schnitzereien darauf wirkten so furchterregend, daß er sich nicht wunderte, daß es seit den Tagen Edmund Carters niemand mehr gewagt hatte, ihn zu öffnen. Er machte beim Schütteln kein Geräusch und verströmte einen geheimnisvollen Duft verschollener Gewürze. Daß er einen Schlüssel barg, war wahrhaftig nur eine trübe Legende, und Randolph Carters Vater hatte nie von der Existenz eines solchen Kastens gewußt. Er war mit rostigen Eisenbändern beschlagen, und sein beachtliches Schloß ließ sich nicht öffnen. Carter ahnte dunkel, daß er in ihm einen Schlüssel zum verlorenen Tor der Träume finden würde, doch wo und wie er zu gebrauchen sei, davon hatte ihm sein Großvater nichts gesagt.
    Ein alter Diener erbrach den geschnitzten Deckel, und als er dies tat, schauderte ihm vor den gräßlichen Fratzen, die ihm aus dem geschwärzten Holz entgegenstarrten. Im Innern, eingewickelt in ein vergilbtes Pergament, lag ein mächtiger, angelaufener Silberschlüssel, der mit kryptischen Arabesken bedeckt war; eine lesbare Erklärung jedoch fehlte. Das Pergament war

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