Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Fleisch « , mahnte ein älterer Bruder an seiner Seite. Der Knabe sah kurzzeitig ebenso verlegen aus wie Olivette, dann reichte er ihr einen saftig roten Apfel, den sie annahm. Kurz vermeinte Adelind in Daniels Augen ein glückliches Leuchten zu erkennen, das sie zweifeln ließ, ob er für das Keuschheitsgelübde taugte.
» Es ist jetzt ziemlich heiß draußen « , erzählte der ältere Mönch an sie und Olivette gewandt. » Aber Pàmias ist eine sehenswerte Stadt. Habt ihr bereits die Marienkirche besucht, die außerhalb der Stadt erbaut wird? An diesem Ort wurde die heilige Natalène begraben, der man eine eigene Kapelle errichtet, wo ihre Gebeine aufbewahrt werden. Ein begnadeter Bildhauer arbeitet an einer Statue der Heiligen. «
Adelind wollte gerade zu einer freundlichen Erwiderung ansetzen, als Rosa ihr mit messerscharfer Stimme das Wort abschnitt.
» Und dann werden sich alle Katholiken brav vor einer Steinfigur verneigen, die als göttlich gilt, obwohl doch jeder weiß, dass sie von Menschenhand geschaffen wurde. Ebenso wie ihr das Kreuz anbetet. Doch hättet ihr einen Sohn, der gehenkt wurde, würdet ihr dann einen Galgen verehren? «
Sie lachte spöttisch. Adelinds Fuß bewegte sich unter dem Tisch, um ihr einen Tritt zu versetzen, doch Rosas Gesicht zeigte keinerlei Regung.
» Ich danke Euch für Euren Rat und würde diese Statue gern sehen, um die Kunstfertigkeit ihres Schöpfers zu bewundern « , sagte sie laut und lächelte den Mönch an. Nach einigem Zögern entspannte sich seine Miene wieder. Auch er und seine Gefährten trugen sehr schlichte weiße Gewänder. Es musste sich um einfache Zisterzienserbrüder handeln, überlegte sie und empfand Erleichterung, dass die meisten von ihnen sich so weit freundlich verhielten. Da zerschnitt plötzlich eine eisig kalte Stimme die entspannte Atmosphäre.
» Was redet ihr mit Ketzerweibern! «
Sie sah sich verärgert um, doch waren diese Worte von keinem der Bischöfe gezischt worden. Ein schmächtiger Mann mit leicht herabhängenden Schultern, dessen Kopf von einer hochgezogenen Kapuze fast gänzlich verschluckt wurde, starrte in ihre Richtung. In seinem Blick funkelte ein derart nackter, roher Hass, dass Adelind die Lust auf weitere Früchte verging. Daniel und der ältere Mönch duckten sich schweigsam. Nicht einmal Rosas vernichtender Blick, vor dem selbst der Graf de Foix verstummte, machte irgendeinen Eindruck auf diesen Mann. Er sah die scharfzüngige Katharerin so lange voller Widerwillen an, bis sie selbst die Augen niederschlug.
Auf einmal sehnte Adelind sich nach der domus, ihren täglichen Pflichten und nach Mabiles blassem, klugem Gesicht. Dieses Mädchen aus seinem Elend zu holen schien ihr wichtiger denn die ganze Debatte, deren Sinn nur darin bestand, dass jede Seite das Recht für sich beanspruchte, heilige Texte richtig zu verstehen. Doch es ging weiter. Nun kam die Frage auf, ob Jesus Christus tatsächlich menschliche Gestalt angenommen hätte oder nur ein Wesen des guten Geistes gewesen sei, wie es die ecclesia Dei, die Kirche der Katharer, sah. Diego von Osma wollte bald darauf wissen, wie ein gläubiger Christ der Meinung sein könne, Seelen von Sündern würden nach dem Tode in tierische Körper wandern statt ins Fegefeuer. Noch bevor Guilhabert de Castres darauf etwas hatte antworten können, nannte Esclarmonde eine Stelle des Markus-Evangeliums, da Jesus Geister von Besessenen in eine Schweineherde fahren ließ, die bald darauf ins Meer stürzte. Wieder kam es zu heftigen Debatten, ob diese Auslegung der Bibelstelle annehmbar sei. Adelind verspürte ein leises Pochen hinter ihren Schläfen, das Kopfschmerzen ankündigte. Wäre sie nur in der domus, dann könnte sie sich jetzt nach Ursannes Anweisungen einen Kräutersud aus Benediktenwurz und Melisse brauen, überlegte sie und drehte lustlos ihren Weinpokal, denn die Lust auf dieses Getränk war ihr vergangen. Würde die Debatte tatsächlich bis zum Abend dauern? Wieder überkam sie das Verlangen, sich wenigstens für eine Weile unter einem Vorwand nach draußen zu schleichen, doch hatte sie Hildegard versprochen, genauen Bericht zu erstatten, was hier vor sich gegangen war. Sie zwang sich daher, wieder aufmerksam zuzuhören. Offenbar war man zu der zentralen Frage zurückgekehrt, wer die Welt erschaffen hatte. Ein paarmal schlug wieder der Bischofsstab auf dem Boden auf. Durand de Huesca ließ ein paar sehr laute, recht derbe Worte verlauten. Dann erklang plötzlich
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