Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
murmelte Rosa spöttisch. Adelind empfand leichten Schwindel, als ihr klar wurde, dass ihre socia die Wahrheit sprach.
» Ich glaube, so hat noch niemals jemand mit meiner Mutter gesprochen « , sagte Olivette, als die Tür der kleinen Kammer wieder hinter ihnen zugefallen war. » Mein Vater schätzte ihr Urteil, und auch mein Onkel Raimond-Rogièr berät sich oft mit ihr. Sie ist sehr stolz auf ihre Klugheit und ihr Durchsetzungsvermögen. «
Ratlos angesichts einer Welt, die plötzlich auf dem Kopf zu stehen schien, nahm Olivette ihren Schleier ab.
» Einige der Mönche schienen ja ganz freundlich « , fuhr sie zögernd fort. » Aber dieser eine, der war so eine finstere Gestalt. Er sah uns schon vorher die ganze Zeit an, als würde er uns am liebsten aus dem Saal jagen. «
» Seiner Meinung nach haben Frauen bei einem solchen Disput nichts verloren « , erklärte Adelind dieses Verhalten. Ihr war erst heute bewusst geworden, dass sie durch den Eintritt in die ecclesia Dei Freiheiten gewonnen hatte, die ihr als katholische Nonne verwehrt gewesen waren. Dass Ursanne die domus weitaus gerechter und weiser leitete als Mutter Mechtildis ihr Kloster, mochte einfach ein Glücksfall sein, doch als Perfacha durfte sie sich völlig frei bewegen und ihre eigene Meinung zu heiligen Texten äußern, was ihr früher nicht zugestanden wurde. Nur das Singen von Hymnen vermisste sie manchmal, denn es war unter Katharern nicht üblich. Es war ihr gelungen, diese Sehnsucht in ihr tiefstes Inneres zu verbannen, wo sie kaum noch zu spüren war. Dort hatte sie auch ein anderes, viel heftigeres Verlangen eingemauert, das ihr in den ersten Jahren in der domus manchmal den Schlaf geraubt hatte.
» All das ist unwichtig « , meinte Rosa indessen und ließ sich auf der Bettkante nieder. » Mir war ohnehin klar, dass dieser Disput nur Zeitverschwendung ist. Die Katholiken werden niemals von ihrer Irrlehre abweichen, nur einzelne sind es, die wir überzeugen können. «
» Aber darum geht es doch gar nicht « , rief Adelind, für die das Wort Irrlehre allmählich zu einer stechenden Nadel wurde. » Wir hofften, wenigstens eine Duldung unseres Glaubens zu erreichen. Andernfalls… «
Die Vorstellung, was andernfalls geschehen könnte, ließ sie für einen Augenblick frösteln, dann mahnte sie sich zur Ruhe. Der Comte de Foix unterstützte seine Schwester, der Vescomte de Trencavel sympathisierte ebenfalls mit der ecclesia Dei, und Raimond de Tolosa hatte sich zumindest niemals öffentlich gegen sie gestellt. Bevor sie diesen Gedanken weiterverfolgen konnte, klopfte es an der Tür.
» Die Gräfin Esclarmonde wünscht Euch zu sehen « , verkündete ein Dienstbote. Olivettes Gesicht begann zu strahlen, während sie rasch wieder ihren Schleier aufsetzte. Dann verschwanden sie in den verwinkelten Gängen, die das Innere der Burg durchzogen.
Esclarmonde erwartete sie in einem großen Raum, in dem durch ein Fenster Sonnenlicht auf ihre Gestalt floss und sie erstrahlen ließ. Sie saß über einen Stapel von Papieren gebeugt, hob den Kopf, als die sociae eintraten, und lächelte. Ihr Gesicht schien wieder völlig entspannt, strahlte heitere Zuversicht aus. Adelind fühlte eine Last von ihrer Brust gleiten.
» Der Disput war schneller beendet als erwartet « , erklärte die Gräfin, während sie ihre sociae auf eine Bank wies. » Ich hatte mir mehr von den Vertretern Roms erhofft. Nun herrscht offene Feindschaft. Wir müssen uns darauf einstellen. «
» Diese Festung… « , begann Adelind.
» Sie wird auf jeden Fall errichtet werden « , beruhigte Esclarmonda sie sogleich. » Wir werden einen letzten Zufluchtsort haben, doch hoffe ich, dass es nicht nötig sein wird, sich dort zu verstecken. «
Die Gräfin gab einer Bediensteten, die geduldig in der Zimmerecke gewartet hatte, das Zeichen, um Erfrischungen auftragen zu lassen. Gleichzeitig traten weitere Perfachas ein, die Adelind bereits im Rittersaal gesehen hatte. Bald schon war der Raum so voll, dass sie auf allen Bänken und Schemeln dicht zusammenrücken mussten. Ein gemeinsames Gebet wurde gesprochen, dann bedankte Esclarmonde sich für ihre Teilnahme an dem Disput und erklärte, dass sie am nächsten Tag alle wieder abreisen könnten. Noch etwa eine Stunde verging mit belanglosem Geplauder, da der Schock über den abrupten Abbruch des Streitgesprächs langsam nachgelassen hatte. Schließlich wurde ihnen angekündigt, dass noch ein gemeinsames Abendmahl im Rittersaal geplant war, bei
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